ANALYSE. Österreich steckt in der größten Krise seit Jahrzehnten und zwei der mächtigsten Politiker machen sich rar: Sebastian Kurz und Johanna Mikl-Leitner. Was haben sie vor?
Sebastian Kurz ist nicht allein auf klassische Medien angewiesen, wenn er sich an eine breitere Öffentlichkeit wenden möchte. Er kann das jederzeit tun: Auf Facebook hat er über 900.000 Fans, auf Twitter fast 500.000 Follower. Sprich: Er ist sein eigenes Organ, kann sich seine Masse selbst schaffen, wenn ihm danach ist. Auf Twitter war er (Stand: 22. November mittags) am 17. November zuletzt aktiv. Bedenkt man, dass seither ein neuer Lockdown angekündigt, beschlossen und durchgesetzt worden ist, ist das bemerkenswert. Berücksichtigt man außerdem, dass er am 17. November über Christenverfolgung geschrieben hat, und tags zuvor über die Aufhebung seiner Immunität im Zusammenhang mit den bekannten Korruptionsaffären, dann muss man sich erst recht wundern: Nimmt der 35-Jährige die Pandemie gar nicht wahr? Ist sie ihm vollkommen egal?
Das kann ausgeschlossen werden. Sie tangiert ihn natürlich: Sebastian Kurz ist noch immer Chef der größten Parlamentsfraktion und der größeren Regierungspartei. Damit zählt er zu den mächtigsten Politikern der Republik. Zumal der amtierende Bundeskanzler (Alexander Schallenberg) ausdrücklich betont hat, sich sehr eng mit ihm abzustimmen. Und wie Josef Votzi hier im Trend schreibt, ist er auch nach wie vor bemüht, die Regierungspolitik zu bestimmen. Bis zuletzt habe er sich etwa gegen Verschärfungen zur Corona-Bekämpfung gestellt. Mit Erfolg. Bis fünf Minuten nach zwölf – gegen den ursprünglichen Willen von Schallenberg – Landeshauptleute bei ihrer Konferenz am Tiroler Achensee den flächendeckenden Lockdown durchsetzten.
Das war eine Zäsur insofern, als Länder das Machtvakuum auf bundespolitischer Ebene füllten und die Führung übernahmen. Allen voran Wien, Burgenland, Kärnten sowie Oberösterreich und Salzburg, die nicht mehr länger so tun konnten als ziehe nur irgendeine Grippewelle durch Österreich.
Die mächtigste Landeshauptfrau machte sich rar: Die Niederösterreicherin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte in den vergangenen Tagen keine wahrnehmbare Rolle. Das ist interessant: Auch sie hat natürlich Handlungsbedarf. In der ÖVP-Krise und in der Pandemie. Zu erkennen gibt sie das nicht. Auf der Website ihrer Landesorganisation geht es zuerst um eine längerfristige Strategie für Niederösterreich. Also um etwas ganz anderes, wohl einen Akzent im Hinblick auf die Landtagswahl, die spätestens im Jänner 2023 stattfinden wird. Das ist sehr bald.
Mikl-Leitner erweckt den Eindruck, Sebastian Kurz gewähren zu lassen. Gemeinsam wissen sie, dass man in der Krise, die Österreich gerade durchmacht, als Politiker eher nichts gewinnen kann. Im Gegenteil. Bei Kurz kommt hinzu, dass er sich weiterhin auf ein Comeback vorbereitet (wie auch Votzi dokumentiert) und sich ein solches nicht durch das Eingeständnis erschweren möchte, in der Pandemie verhängnisvolle Fehler gemacht zu haben.
Die niederösterreichische Landeshauptfrau, die eine entscheidende Rolle spielt, wenn es darum geht, einen ÖVP-Obmann zu bestellen, zu halten oder abzuberufen, schaut zu. Bei den Korruptionsaffären, die das „Zurseitetreten“ Kurz‘ als Kanzler notwendig machten, begnügte sie sich mit einem Pflichtprogramm. In einer Video-Botschaft erklärte sie, die Chats würden ein Bild zeichnen, „das wir so nicht stehen lassen können und wollen“. Bis heute hat sie keine Präzisierung nachgereicht: Was ist damit gemeint? Je länger das so bleibt, desto mehr setzt sich MIkl-Leitner dem Verdacht aus, einfach nur Gras drüber wachsen lassen zu wollen.
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