Zwischen Sozi-Hass und Sicherheitsrisiko

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ANALYSE. Für die ÖVP ist noch lange nicht klar, was das geringere Übel ist: Ein Kanzler Kickl oder ein Vize Babler.

Für Karl Nehammer wird’s eng. Sollte er wirklich an einer türkis-rot-grünen Koalition interessiert sein, muss er Stimmung machen dafür. Zur Erinnerung: Bei einer Befragung anlässlich der Landtagswahl in der Steiermark haben gerade einmal 28 Prozent angegeben, dass sie bezüglich der Verhandlungen in Wien zuversichtlich seien. Mehr als doppelt so viele äußerten Sorge oder Verärgerung.

Parallel dazu richten sich Nehammers Parteifreunde in einem Bundesland nach dem anderen nach der FPÖ aus. In Niederösterreich lässt Johanna Mikl-Leitner in Kindergärten jetzt sogar verpflichtend Nikolaus-Kunde erteilen. Die FPÖ, die sich in einer säkularisierten und zum Teil auch aufgeklärten Welt schon seit Jahren um das Brauchtum am 6. Dezember besorgt gibt, reicht nicht als Partner. Man muss es ihr gleichtun.

Verhängnisvoller für Nehammer ist das mit der Stimmung: Es glauben nur wenige an die „Zuckerl-Koalition“ und das verstärkt Zweifel in der ÖVP, ob eine Zusammenarbeit mit Andreas Babler (SPÖ) eine gute Idee sei.

Zur SPÖ und zu diesem müsste Nehammer Brücken bauen, die seine Leute überzeugen. Im Moment ist da nur ein großer Graben, und wenn er plötzlich daherkommt und sich zu Steuererhöhungen bereit erklärt, dann wird dieser nur noch größer. Weil diesem Preis noch gar nichts entgegensteht, was für die Dreiparteienkoalition begeistern könnte.

Babler ist ein Linker, das befeuert einen tiefsitzenden Sozi-Hass in schwarzen und türkisen Reihen. Seine Steuerideen sind aber nicht allein ausschlaggebend dafür. 2017 richtete sich diese Verachtung gegen Christian Kern, einen Mann aus der Mitte der SPÖ, kündigte Sebastian Kurz (ÖVP) die Regierungszusammenarbeit auf, um zu Türkis-Blau zu wechseln.

Natürlich: So verschwindend klein die Neigung in der ÖVP hin zur SPÖ ist, so klein ist sie umgekehrt. Lediglich Pragmatiker der Macht können das unterdrücken. Sie wissen: Für die Sozialdemokratie geht es ums Ganze. Im schlimmsten Fall für sie hat sie in ein paar Jahren nur noch Wien, ist sie sonst überall in Opposition.

Für die ÖVP gibt es immer eine Alternative: nicht Opposition, sondern FPÖ. Bedenken wegen Herbert Kickl werden heute kaum noch geäußert. Damit geht einher, dass es zunehmend nur noch um die Frage geht, warum der Chef der stärksten Partei eigentlich nicht Kanzler werden dürfe. Die „Krone“ findet, es stehe ihm zu. In der „Presse“ heißt es, Ausgrenzung funktioniere nicht.

Also doch Blau-Türkis? Längerfristig könnte es für die ÖVP rein machttechnisch Sinn machen. Mit einem Obmann von der Sebastian Kurz-Art halt, der es mit Kickl aufnehmen kann. Die Alternative ist aus ihrer Sicht, irgendetwas mit SPÖ und Neos – und ein letzten Endes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch stärkerer Kickl.

Karl Nehammer müsste dagegen liefern. Zumal er vieles schon vernachlässigt hat. Wie war das noch einmal mit dem „Sicherheitsrisiko“? Eigentlich müsste es vielen Bürgerlichen, allen Europäern und anderen mehr klar sein: Ein Kanzler Kickl würde bedeuten, dass sich ein weiteres europäisches Land nach dem Geschmack von Wladimir Putin entwickelt. Es wäre ihm gefällig, wie es Viktor Orban ist. Es würde auch europäische Integration torpedieren, versuchen, aus der EU wieder eine bloße EWG zu machen.

Es würde in zahlreichen Fragen so gar nicht eine Richtung einschlagen, die wirtschaftsfreundlich ist: Keine Belastungen zwar, aber auch keine Pensionsreform und keine nennenswerten Einsparungen. Staatliche Preisregulierungen, wo immer es populär ist. Crash-Kurs. Einer Öffnung für Fachkräfte aus aller Welt wiederum würde die „Festung Österreich“ mit ausschließlich rot-weiß-roten Fahnen entgegenstehen. Und so weiter und so fort. Alles bekannt. Es ist jedoch fraglicher geworden, ob es für maßgebliche Teile der ÖVP schwerer wiegt als Bedenken über die SPÖ.

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