Zurück zur neuen Volkspartei

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ANALYSE. Nehammer lässt bekannte Flüchtlingspolitik reaktivieren. Der Versuch, die ÖVP zu retten, ist jedoch zum Scheitern verurteilt: Genauso wenig wie Laura Sachslehner ist er Sebastian Kurz, der bei dieser Geschichte entscheidend war.

ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner versucht sich im Geiste von Sebastian Kurz: Am Wochenende twitterte sie, Österreich habe die zweithöchste „Pro-Kopf-Belastung durch Asylanträge in der EU“. Die allermeisten Anträge würden aus Afghanistan und Syrien kommen. Und: „Zwischen den Kriegsvertriebenen aus der Ukraine & allen anderen Migranten, die meist aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich wollen, muss unterschieden werden“. Am Dienstag wiederholte sie sich. Sprich: Sie bleibt dabei. Wie es Kurz einst bei diesem Thema getan hat. Widerspruch lässt sie nicht etwa zögern; sie betrachtet ebensolchen vielmehr als Ermunterung, nachzulegen. Immerhin könnte ihr das Aufmerksamkeit verschaffen – und zwar vor allem auch bei den Wählern, die sie im Auge hat. Was hat Kurz seinerzeit nicht jeden Tag wieder behauptet, eine Mittelmeer- und eine Balkan-Route geschlossen zu haben? Bis es auch diejenigen gehört haben, die keine Nachrichten verfolgen.

Widerspruch ist trotzdem nötig. Zumal Sachslehner gezielt Unsinn verbreitet. Sie vermittelt den Eindruck, dass es neben den Menschen aus der Ukraine keine Flüchtlinge gibt. Sondern dass es sich eben schlicht um „Migranten“ handelt, die „meist aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich wollen“. Das ist nicht korrekt: 2021 kamen die mit Abstand meisten Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen. Bei ihnen waren 77 Prozent der Entscheidungen „positiv“. Österreichische Behörden sahen also Fluchtgründe. Anders ausgedrückt: Sie kamen eher nicht als das daher, was der Begriff „Migranten“ unterstellt. Bei Anträgen afghanischer Staatsangehöriger, die heuer zahlreicher sind, ist seit Jänner ein Drittel der Entscheidungen negativ und nur ein Sechstel positiv (bei der Hälfte wurde das Verfahren eingestellt). Der Zuerkennungsanteil ist bei ihnen also viel niedriger – aber noch immer so hoch, dass man nicht pauschal sagen kann, es handle sich um Wirtschaftsmigranten.

Aber wen interessiert das schon? Für Sachslehner geht es darum, eine katastrophale Entwicklung der ÖVP-Umfragewerte zu korrigieren. Auftraggeber: Karl Nehammer. Die Staatsbürgerschaftsdebatte, die nicht sein soll, hat Lust auf mehr gemacht. Es gebe hier nicht den geringsten Änderungsbedarf, erklärte Nehammer der Krone und verbreitete die Meldung dann gerne. Die Leute sollen wissen, dass es die türkise Volkspartei noch gibt. Am 1. Juni betonte Nehammer, man dürfe auf die Migration nicht vergessen. Seither bemüht sich Sachslehner darum.

In der Coronakrise ist der ÖVP nicht nur das Flüchtlingsthema abhandengekommen. Sondern auch Stimmenbringer Sebastian Kurz, der untrennbar damit verbunden war. Dazu kam schließlich eine Teuerung bzw. Unmut in wachsenden Teilen der Bevölkerung über die Vernachlässigung dieses Problems durch die Politik.

Und eine humanitäre Herausforderung, die türkiser Flüchtlingspolitik diametral widerspricht: Zu Weihnachten hatte Nehammer dem Papst noch erklärt, Österreich könne keine Menschen mehr aufnehmen: „Das ist keine Frage der bösen Absicht, sondern auch der Machbarkeit.“ Nach Ausbruch des Kriegs sah er sich gezwungen, zu zeigen, dass die Machbarkeit unendlich ist. Es ist nur eine Frage der Absicht. Das aber zugeben? Undenkbar.

Man setzt lieber auf ein geändertes Wording. Nehammer und Sachslehner schaffen damit gewissermaßen Rechtsverhältnisse, die ihnen passen. Menschen aus der Ukraine sind demnach keine Flüchtlinge, ja nicht einmal Migranten, sondern Heimat- und Kriegsvertriebene. Im Übrigen handelt es sich um Nachbarschaftshilfe. Wer mag da etwas dagegen einzuwenden haben?

Aus ÖVP-Sicht ist das jedoch nur Schadensbegrenzung: Sie liegt in Umfragen nur noch bei durchschnittlich 23 Prozent und damit nicht zufällig auf Vor-Kurz-Niveau. Ex-Freiheitliche, Ex-BZÖ- und Ex-Team-Stronach-Anhänger, die eher rechts der Mitte stehen und auf Kurz’sche Flüchtlingspolitik geflogen sind, sind weg. Summa summarum ist das gut und gerne eine halbe Million.

Mit Nachbarschaftshilfe für Heimatvertriebene wird man diese Klientel allenfalls nur einlullen, aber kaum so weit begeistern, dass sie zur Volkspartei zurückkehren. Dazu ist mehr nötig. Sachslehner rückt daher wieder Menschen aus Syrien und Afghanistan in den Fokus. Allein: Genauso wenig wie Nehammer ist sie Kurz, dessen Erfolgsgeheimnis war, das wirkungsvoller betreiben zu können als Heinz-Christian Strache oder Herbert Kickl. Es handelt es sich eher um eine bemühte Kopie, die zum Ausdruck bringt, dass sich die ÖVP in ihrer Not nicht zu helfen weiß.

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