ANALYSE. Die Partei kann sich nicht darauf verlassen, dass Kickl und Babler über sich selbst stolpern. Und Karl Nehammer vielleicht doch noch einen Kanzlerbonus entwickeln könnte.
Auf ORF.AT sind gerade folgende Nachrichten untereinander gestanden: Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) fordere eine raschere Integration Zugewanderter auf dem Arbeitsmarkt, und die niederösterreichische ÖVP von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner dränge auf strengere Staatsbürgerschaftsregeln. Kein Witz: Vertreter einer Partei verlangen Dinge, die unter Verantwortung ihrer Partei erledigt werden könnten. Wobei der Hinweis darauf, dass das mit Grünen auf Bundesebene nicht gehe, denkbar schlecht ist: Es ist schon mit Sozialdemokraten und Freiheitlichen nicht gegangen und lässt daher den Schluss zu, dass es an der ÖVP selbst liegen dürfte: Sie hat zu lange bloß inszeniert.
Im Herbst 2023 wirkt die Volkspartei verloren: Nur noch 20 Prozent weist ihr die Hochschätzung aus, die das Meinungsforschungsinstitut „Unique Research“ gerade für das Nachrichtenmagazin „profil“ erstellt hat. Obmann Karl Nehammer, würde bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers auf 16 Prozent kommen. Gerade nachgeschaut: Bei Mitbewerbern wie Christian Kern und Heinz-Christian Stache hätte Reinhold Mitterlehner, über den Türkise gerne lachen, einst 18 Prozent geschafft; aber aus der Position des Vizekanzlers heraus.
Die Lage ist hoffnungslos: Herbert Kickl sammelt für die FPÖ Wähler ein, die das bestehende politische System ablehnen, Andreas Babler holt für die SPÖ jene, die finden, dass es an der Zeit ist, dass sie das bekommen, was ihnen zustehe. Summa summarum dürften das im vierten Krisenjahr an die 60 Prozent sein.
Die ÖVP kann das Kanzleramt im kommenden Jahr nur halten, wenn Kickl und Babler über sich selbst stolpern. Oder wenn sie jetzt die Notbremse zieht, Nehammer „Danke“ sagt, ihn verabschiedet und sich neu aufstellt. Natürlich: Die Frage, wer es weniger unglücklich anlegen könnte, drängt sich auf. Wichtiger ist aber, worauf die ÖVP hinauswollen könnte.
Die türkise Richtung würde dafür stehen, in eingangs erwähnter Unbeholfenheit von Raab und Mikl-Leitner die Themen Asyl und Integration wieder hochzufahren, um so Kickl vielleicht Wind aus den Segeln zu nehmen. These: Das funktioniert nicht mehr. Kickl wird nicht wegen seines Kurses zu diesen Fragen unterstützt, sondern wegen seiner Ansage, Eliten zu treten und in der Republik mit dem eisernen Besen durchzukehren. Da geht es um viel Schlimmeres.
Gefragt wäre vielleicht Mittiges: Ein Stück Heimat und Weltoffenheit, mit dem Alexander Van der Bellen bei den Präsidentschaftswahlen gepunktet hat. Wichtiger jedoch: Ein zentrales gesellschaftliches Problem sind Unsicherheiten aufgrund all der Krisen. Gefragt ist daher Stabilisierendes, das Orientierung gibt: Worauf kommt es an, wie können Perspektiven geschaffen werden?
„Glaub an Österreich“ war ein Versuch von Nehammer, sich darum zu bemühen. Die Umsetzung war jedoch jämmerlich, das Ende kläglich: Als angebliche Stimmen aus dem Volk hielten Claudia P. (Staatssekretärin Plakolm) oder Christian S. (Parteisekretär Stocker) her. Inhaltlich war nichts. Und schließlich ist durch Nehammers Videobotschaft, Kinder zu McDonalds zu schicken, ohnehin alles verhagelt worden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Grundidee schlecht gewesen wäre. Im Gegenteil. Darum geht‘s: Was könnte Österreich als Teil einer Europäischen Union wieder stärker machen? Wie könnte Chancengerechtigkeit hergestellt werden? Was heißt „Leistung muss sich lohnen“ wirklich, sofern dieser Satz überhaupt noch zu retten ist? Und so weiter und so fort.