ANALYSE. Man könnte glauben, dass für die Partei gut und gerne 20 Prozent zu holen sein müssten. Es hat jedoch Gründe, warum sie weit davon entfernt sind.
Als die FPÖ vor einem halben Jahr schon weit vorne lag und Andreas Babler die SPÖ übernahm, gab es Leute, die glaubten, dass die ÖVP jetzt nur gewinnen könne; die davon ausgingen, dass es kein größeres Glück für die Partei geben könne als die Tatsache, dass die eine Mitbewerberin weit rechts steht und die andere ihren Schwerpunkt nach links verlagert: Das, so der Trugschluss, bedeute, dass in der Mitte viel, viel Platz für eine Volkspartei bleibe.
Wobei: ÖVP-Chef Karl Nehammer redet zwar gerne von Mitte, im Alltag neigt er jedoch nach rechts. Jüngstes Beispiel: Die ÖVP lehnt das EVP-Wahlprogramm für die EU-Wahl ab. Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte man das vielleicht der Fidesz von Viktor Orbán zugetraut. Aber der ÖVP? Der Partei von Alois Mock? Ja, sie fühlt sich unwohl in der Mitte. Ihre Ablehnung begründet sie nicht nur mit einem EVP-Bekenntnis zur Kernenergie, sondern auch mit einem solchen zur Schengen-Erweiterung und zur Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Beides ist ihr (quasi) zu viel Mitte.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die ÖVP in der Mitte nicht groß gewinnt. Sie konzentriert sich ja gar nicht darauf.
Warum liegt dann aber Neos nur bei gut zehn Prozent? Zu holen sein müssten allemal 20 Prozent für sie; wie man vielleicht meinen könnte, wenn man zunächst nur von alten Mustern ausgeht.
Genau das führt jedoch zum Problem: Es gibt keine große Mitte mehr, die eine Wählergruppe bildet. Viele Menschen sind für Rechtspopulismus anfällig geworden, der verspricht, Abstiegsängsten die Grundlage zu entziehen und im Übrigen für maximale Sicherheit und minimale Migration in einer vermeintlich heilen Welt von gestern zu sorgen. Andere hat die Impfpolitik zur FPÖ getrieben; zumal sie hier von Herbert Kickl gezielt umworben worden sind. Wieder andere tendieren zu Dominik Wlazny, Kay-Michael Dankl oder Elke Kahr. Im Übrigen gibt es solche, die wegen der Klimapolitik immer wieder grün wählen, sofern sie nicht zu enttäuscht über die Regierungspolitik sind, die ihre Partei mitträgt.
Unterm Strich bleibt nicht so viel übrig für Neos. Das Potenzial ist vor allem aber grundsätzlich begrenzt: In Österreich finden (geschätzt) 80, 90 Prozent der Leute den starken Staat sehr gut, der mit Steuern und Beiträgen etwa für ein Pensionssystem sorgt, wie es ist. Oder der bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit da ist. Oder der in Krisenzeiten und darüber hinaus „Koste es, was es wolle“ betreibt. Ähnlich viele würden die Neutralität lieber nicht aufgeben und schon gar nicht der Nato beitreten. Und so weiter und so fort. Europapolitik? Ein Minderheitenprogramm – bei der üblen Stimmung gegenüber Brüssel mehr noch als in anderen Mitgliedsländern der EU.
Ist Europapolitik deswegen schlecht? Natürlich nicht. Es ist wichtig, dass sich jemand darum kümmert. Wie es Grüne etwa in Bezug auf Klimapolitik tun.
Wollte Neos auf 20 Prozent kommen, müsste die Partei aufhören, von Pensionsreformen zu reden und die Neutralität für unantastbar erklären. Ungefähr so wie es die ÖVP in den vergangenen Jahren gemacht hat. Zunächst durchaus mit (Wahl-)Erfolg. Aber eben nur zunächst.