Wirklich Kurz

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ANALYSE. Der Ex-Kanzler versucht Geschichte umzuschreiben und sich mit enttäuschten Anhängern aus den Reihen der FPÖ, vor allem aber Kickl zu versöhnen: Der junge Mann hat noch viel vor.

Der Andrang war groß, das Medienecho beträchtlich. Auf Einladung einer Beratungsagentur sprach Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einem sogenannten Businesstalk vor geladenen Gästen, darunter auch Journalisten, die dann auch berichteten: Der 37-Jährige bereue, infolge der Ibiza-Affäre die Zusammenarbeit mit der FPÖ beendet zu haben. Diese habe „sehr gut funktioniert“. Er will seinerzeit Opfer einer schlechten Informationslage gewesen sein. Nach den „gut geschnittenen Minuten“ des Videos sollte Gerüchten zufolge noch viel kommen.

Hier ist einer nicht korrekt. Der Sebastian Kurz vom 24. Juni 2024 oder der Sebastian Kurz vom 18. Mai 2019. An jenem Tag nach Veröffentlichung des Videos gab er eine Erklärung ab, die im Wortlaut hier dokumentiert ist. Der damals 32-Jährige sagte, dass er für inhaltliche Erfolge bereit gewesen sei, „viel auszuhalten, viel in Kauf zu nehmen“: „Vom Rattengedicht über die Nähe zu radikalen Gruppierungen bis hin zu immer wieder auftauchenden Einzelfällen.“ Auch wenn es für ihn persönlich nicht immer einfach gewesen sei.

„Aber nach dem gestrigen Video muss ich sagen: Genug ist genug.“ „Wirklich schwerwiegend“ seien die Ideen des Machtmissbrauchs sowie der Umgang mit Steuergeld und der Presse. Im Übrigen habe er in Gesprächen mit Freiheitlichen nicht das Gefühl gewonnen, dass es eine „wirkliche Bereitschaft“ für eine tiefgreifende Veränderung gebe.

Natürlich, so Kurz am 18. Mai 2019, könnte er zu einem fliegenden Koalitionswechsel hin zu Türkis-Rot schreiten, das würde jedoch zu Stillstand führen und einen solchen wolle er nicht. Daher solle es Neuwahlen geben. Schlussworte, direkt ans Publikum gerichtet: „Wenn Sie mit meinem Kurs zufrieden sind, wenn Sie diese Veränderung fortführen wollen, dann brauchen wir bei der nächsten Wahl klare Verhältnisse. Mit einem klaren Wahlauftrag. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung!“

Die ausführliche Zitierung war notwendig. Sie zeigt, wie sehr Sebastian Kurz heute bemüht ist, Geschichte umzuschreiben. Erstens: Er hatte sich den Bruch mit den Freiheitlichen gut überlegt. Zweitens: Das Fass war seinen Ausführungen zufolge bereits voll gewesen, das Video war der Tropfen, der es zum Überlaufen brachte. Drittens: Begründet hat er das damals ausschließlich mit den Ideen des Machtmissbrauchs, die Heinz-Christian Strache in den veröffentlichten Teilen des Videos zum Ausdruck brachte. Sie hätten „wirklich“ gewogen. Viertens: Er wusste, dass das überzeugend wirkte und hielt daher gleich auch eine Wahlkampfrede: „Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung!“ Die Rechnung ging auf. Bei der Wahl standen 37,5 Prozent für die ÖVP und eine am Boden zerstörte FPÖ.

Letzten Endes hat sich das Taktieren jedoch vielfach gerächt. Dass Kurz das nicht einmal vor dem Hintergrund eingesteht, dass er gehen musste und die FPÖ gerade dabei ist, die ÖVP zu überholen, überrascht kaum. Er ist nicht der Typ, der sich öffentlich mit eigenen Fehlern auseinandersetzen mag. Es ist ihm wichtig, Wählerinnen und Wählern gegenüber zu vermitteln, keine zu machen. Er ist nach wie vor populistischer Politiker. Halt ohne Amt.

Genauer: Es ist entlarvend, er sieht sich mittelfristig wieder in einer aktiven Rolle. In diesem Sinne versucht er, verschlossene Türen in der Volkspartei zu öffnen: Er ist nicht nur daran interessiert, sich mit Wählerinnen und Wählern zu versöhnen, die sich enttäuscht von ihm zur FPÖ zurückbewegen und die für einen Wahlerfolg relevant sind. Sondern auch mit Freiheitlichen im Allgemeinen und mit Herbert Kickl im Besonderen. Mit diesem will er keine offenen Rechnungen haben, zitiert ihn der „Kurier“ vom eingangs erwähnten Businesstalk. Botschaft an seine Parteifreunde: „Solltet ihr jemanden brauchen, der mit Kickl kann, ich stehe zur Verfügung.“

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