ANALYSE. Warum die Wahl nicht entschieden ist. Und man besonders von Prognosen, die auf Umfragen beruhen, besser absehen sollte.
„Ist die Wahl schon entschieden?“ Die Botschaft, mit der das Nachrichtenmagazin „profil“ Ende Juli daherkam, hat es in sich. Zumal sie sich auf ziemlich eindeutige Umfrageergebnisse stützte: 33 Prozent für die ÖVP, 26 Prozent für die SPÖ, 22 Prozent für die FPÖ und so weiter und so fort. Im Grunde genommen sind diese Werte eine Katastrophe für alle Beteiligten: In der Volkspartei könnten sich die Anhänger von Sebastian Kurz siegessicher zurücklehnen, also etwas weniger engagieren. Motto: „Ist ja eh schon gelaufen.“ Bei den Sozialdemokraten und den Freiheitlichen könnten die Funktionäre wiederum resignieren. Und schon allein das würde dazu führen, dass die Wahl ganz anders ausgeht als erwartet. Und wirklich: Alles ist möglich.
Bei 500 Befragten könnte man eigentlich genauso gut den Finger in die Luft halten, um zu spüren, woher der Wind pfeift.
Also bleiben Umfragen nur Momentaufnahmen. Wenn überhaupt. Bei 500 Befragten könnte man eigentlich genauso gut den Finger in die Luft halten, um zu spüren, woher der Wind pfeift. Doch das ist eine andere Geschichte. Hier geht es um die Unmöglichkeit, den Wahlausgang in etwas mehr als zweit Monaten vorherzusehen. Warum? Darum:
Erstens. Der Anteil der Österreicher, die sich bereits festgelegt haben und die auch nicht mehr von ihrer Präferenz abweichen werden, ist nicht allzu groß. Bei Umfragen deklarieren sich zurzeit etwa drei Viertel der Befragten. Geht man zusätzlich davon aus, dass sich ein Teil bei einer Befragung überhaupt zum ersten Mal mit dieser Wahl „in weiter Ferne“ auseinandersetzt und halt irgendetwas „aus dem Bauch“ heraus antwortet, bleiben vielleicht 50 Prozent übrig, deren Aussage auch wirklich brauchbar ist.
Zweitens. Das ist, wenn man die Volksmeinung zur Politik „messen“ will, überhaupt ein Problem: Die Leute sind beweglich geworden. Heute dies, morgen das. Siehe Bundespräsidenten-Wahl, als SPÖ und ÖVP dies mit insgesamt nur gut 20 Prozent für ihre Kandidaten zu spüren bekommen haben.
Drittens. Diese Beweglichkeit wird bei dieser Wahl möglicherweise so groß sein wie noch bei keiner anderen Nationalratswahl. Zumal Parteibindungen kaum noch eine Rolle spielen werden.
Die „Bewegungen“ sind bisher vor allem eines: bewegungslos.
Viertens. Was mehr denn je zählt, sind einzig und allein Spitzenkandidaten. Und da gibt es ein Phänomen, das in der politischen Analyse berücksichtigt werden muss: Sebastian Kurz hat die besten Persönlichkeitswerte, gefolgt von Christian Kern. Aber: Beide haben Vertrauenswerte, die im Vergleich mit denen ehemaliger Bundespolitiker sehr bescheiden sind. Das legt den Schluss nahe, dass es um sie, wenn, dann nur einen sehr relativen „Hype“ geben kann.
Fünftens. Die „Bewegungen“, die Spitzenkandidaten zu inszenieren versuchen, um den Eindruck zu vermitteln, dass sie mit den unbeliebten Parteien nichts mehr zu tun haben, sind vor allem eines: bewegungslos. Außer in der einen oder anderen Boulevardzeitung ist beispielsweise keine flächendeckende Bewegung für Sebastian Kurz wahrnehmbar; und zwar weder eine personelle noch eine inhaltliche. Bei Peter Pilz ist das nicht anders. Und bei Christian Kern auch nicht; der „Plan A“ ist nun zwar Wahlprogramm der gesamten Partei, bleibt aber einzig und allein sein persönliches Werk.
Sechstens. Allmählich sickert, dass sich die Flüchtlingskrise entspannt. Das könnte es für Kern etwas leichter machen und für Kurz und Strache schwerer. Zumal sich stattdessen zunehmend auch noch eine gewisse „Es geht uns nicht nur nicht mehr schlecht, sondern gut und immer besser“-Stimmung breitmacht. Das schafft inhaltlich eine ganz neue Ausgangslage.