DOKUMENTATION. Michael Sprenger von der Tiroler Tageszeitung ist Kurt-Vorhofer-Preisträger 2017. Seine Rede auf der Verleihung im Wortlaut.
„Wir haben eine unterentwickelte Debattenkultur“, so der diesjährige Kurt-Vorhofer-Preisträger Michael Sprenger von der Tiroler Tageszeitung: Nicht zuletzt die Politik trage dazu bei. Im Folgenden die Rede, die Sprenger im Rahmen der Verleihung des Preises am 29. Mai durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Wiener Hofburg hielt, im Wortlaut.
Meine Damen und Herrn, wir haben eine unterentwickelte Debattenkultur. Wie wichtig eine solche jedoch für unsere Gesellschaft wäre, erlebten wir zuletzt mit den Ereignissen des Jahres 1986. Nur rasch zur Erinnerung: Hans Hermann Groer wurde zum Erzbischof von Wien geweiht, die Österreicher wählten Kurt Waldheim zu ihrem Bundespräsidenten, Claus Peymann wurde Burgtheater-Direktor, die Grünen schafften erstmals den Einzug in den Nationalrat und Jörg Haider wurde FPÖ-Obmann.
Es war in erster Linie der Verdienst von zahlreichen Journalistinnen und Journalisten, (die zum Teil auch hier im Saal sitzen), die für eine breite Debatte über die sich ankündigenden Veränderungen in der Republik sorgten. Allem voran stand dabei die Waldheim-Debatte.
Österreich wurde im Jahr 1986 die Spritze angesetzt, das Land wurde mit dem Geist der Aufklärung geimpft, wie es einmal der frühere Österreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Michael Frank, formulierte. Doch die Impfung war nicht frei von Nebenwirkungen. Mit der einsetzenden Debatte wurde der antiaufklärerische Geist wachgerufen. Wir sind heute Zeitzeugen dieses Geistes. Der Ruf nach dem starken Mann wird immer lauter, der Heilsbringer wird erwartet.
Die Kritik, die zuletzt an Armin Wolf geübt wurde, sagt mir, dass es einen breiten Widerstand gegen eine Debatten- und Diskussionskultur gibt.
Die parteipolitische Antwort des Jahres 1986 war – nach 16 Jahren Unterbrechung – die Rückkehr zur großen Koalition. Langsam wurde das Land wieder von Mehltau überzogen. Dass dennoch SPÖ und ÖVP in dieser Zeit den Weg nach Europa freigemacht haben, ist ihnen hoch anzurechnen. Unterbrochen von den an Korruption nicht armen sechs Jahren von Blau-Schwarz-Orange unter Kanzler Wolfgang Schüssel hielt sich die große Koalition bis heute.
Jetzt stehen wir am Beginn eines Wahlkampfes, der eine Zeitenwende bedeuten könnte. Mit dem Trägheitsmoment ist uns die Debattenkultur des 1986er-Jahres abhanden gekommen. Mit 140 Zeichen ist diese Kultur nicht wieder zu beleben.
Die Kritik, die zuletzt an Armin Wolf geübt wurde, vor allem nach seinem Erwin Pröll-Interview, sagt mir, dass es einen breiten Widerstand gegen eine Debatten- und Diskussionskultur gibt. Immer mehr Politiker wollen sich am liebsten ihre Haus- und Hof-Journalisten aussuchen oder ihre Botschaften ungefiltert in den Sozialen Medien absondern. Die klassischen Medien sollen diese Botschaften nur verstärken. So der Plan.
Hier dagegenzuhalten, noch dazu in Wahlkampfzeiten, ist ein schweres Unterfangen. Aber davon sollten wir uns nicht abhalten lassen.
Auch wenn meine ökonomischen Kenntnisse begrenzt sind: Ich weiß, dass in den Medienhäusern die fetten Jahre vorbei sind. Aber wir sollten noch gute vor uns haben. Deshalb meine Bitte: Bevor der Rotstift erneut angesetzt wird, sollten die Herausgeber, Geschäftsführer und Chefredakteure für sich die Frage beantworten: Können wir mit weiteren Einsparungen noch unseren zentralen Beitrag leisten, der für den Erhalt einer lebendigen Demokratie notwendig ist?
Da wohl auch Journalisten den „Keim des Künftigen“ (Hermann Broch) in Händen halten, wissen wir, was auf dem Spiel steht: Unsere Antwort – im Gegensatz zur Hofberichterstattung, kann also nur ernsthafter Journalismus sein.
Eine neue Debattenkultur, so glaube ich, müsste zudem im Interesse aller verantwortlichen Medien und aller Politikerinnen und Politiker sein, die es anständig meinen. Kann sie doch für einen Schutzwall gegen die Niedertracht sorgen.
Die Politik wäre aufgerufen, aktiv ihren Beitrag zu leisten. Das heißt, ihre Vorstellungen und Themen mit Leidenschaft und Respekt zu vertreten. Die Kunst des Argumentierens wäre gefragt. Die Politiker müssen für ihre Ideen brennen. Zentrum hierfür könnte oder sollte das Parlament sein.
Dieser Tage wurde am Gipfel der Koalitionskrise die Exekutivgewalt für die kommenden Monate ins Parlament verlagert. Da wurde wieder einmal das freien Spiel der Kräfte beworben, dem Parlamentarismus das Wort geredet.
Das ist leider nicht ehrlich gemeint. Als vor wenigen Wochen die Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker das „norwegische Modell“ für Österreich eingefordert hatte, wurde sie abgekanzelt: Von den Klubobleuten von SPÖ und ÖVP, von der FPÖ, von Ministern.
Was bildet sich Kraker ein, hieß es damals. Wir sind die Herrn des Parlamentarismus, und überhaupt, der Rechnungshof ist nur ein Hilfsorgan des Parlaments.
Meine Damen und Herren! In Österreich ist die Abstimmungsmaschine Parlament einzig und allein ein Hilfsorgan der Regierung.
Wird von den Parteien der Boulevard so lange mit Inserate gefüttert, bis sie endgültig vom Boulevard zum Abschuss freigegeben werden?
Was beabsichtigt dieses unverschämte Modell, wie funktioniert das in Norwegen? Seit 70 Jahren gibt es dort diese Regelung. Das Parlament wird für vier Jahre gewählt. Punkt. Sollte es in dieser Zeit die Regierung scheitern, dann sind andere Mehrheiten im Parlament zu suchen. Zumeist kommt es dann zu einer Minderheitsregierung. Gewählt wird das neue Parlament erst dann, wenn die Legislaturperiode zu Ende ist. Die Folgen sind ein arbeitsintensives und lebendiges Parlament. Zentrale Reformen in Norwegen (wie auch in Schweden) wurden übrigens oftmals in Zeiten von Minderheitsregierungen beschlossen. Anders als in Österreich kann dort nicht permanent mit Neuwahlen gedroht werden, anders als in Österreich wird dort von Medien nicht permanent über Neuwahlen spekuliert. Wie hätten unter solchen Voraussetzungen eine Bundesregierung arbeiten können?
Egal. Beenden wir das Gedankenspiel. In Österreich will man über diesen Vorschlag nicht einmal debattieren. Nur zur Erinnerung: Der Vorschlag von Kraker ist nicht neu. Vor ihr sprachen sich bereits Altkanzler Alfred Gusenbauer und die leider viel zu früh verstorbene Parlamentspräsidentin Barbara Prammer für das „norwegische Modell“ aus: Die Reaktion auch damals: Kommt nicht in Frage! Nur keine Veränderung. Alls bleibt wie es ist. Die Aufgabe des Abkanzelns übernahm damals SPÖ-Klubobmann Josef Cap.
Wenn es also um Debattenkultur geht, will ich angesichts von Neuverhandlungen von Presseförderung, von angekündigten Droh-ORF-Volksbegehren, die Medienwirklichkeit und Medienpolitik nicht außen vor lassen. Lassen sie mich kurz ein Zitat paraphrasieren. Wird von den Parteien der Boulevard so lange mit Inserate gefüttert, bis sie endgültig vom Boulevard zum Abschuss freigegeben werden?
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