Wien andersrum

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´ANALYSE. Die SPÖ sieht sich in der Bundeshauptstadt zu einer Kursänderung gezwungen, die für die Sozialdemokratie gefährlich ist.

Jetzt erhöht Wien auch noch Gebühren wie jene für die Jahreskarte für die städtischen Büchereien. Mag sein, dass eine Jahreskarte um 15 Euro noch immer günstig ist, es handelt sich aber um fast die Hälfte mehr als bisher und überhaupt: Es geht um einen fast freien Zugang zu Literatur, zu Bildung, es geht um ein Signal.

Weiterhin günstig wird auch die Jahreskarte der Wiener Linien sein. 467 Euro sind im internationalen Vergleich wenig. Doch wie hat Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) im Februar gesagt: Es bleibe bei den gewohnten 365 Euro, weil Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit oberste Priorität hätten.

Das ist der Punkt – und es geht noch viel weiter: Gekürzt werden vor allem auch Leistungen in der Sucht- und Drogenhilfe, wird bei Deutschkursen für Zugewanderte und bei der Mindestsicherung. Ob die SPÖ damit ihrer eigenen Tradition gerecht werde, müsse sie sich selbst fragen, sagt der Chef der Volkshilfe, Erich Fenninger: Es selbst finde es „bestürzend, dass auch in Wien massive Kürzungen im Gang sind“. Nachsatz: „Die Folgen werden in kurzer Zeit schmerzlich zu spüren sein.“

Für Betroffene, auf der Straße – und womöglich auch politisch: Das rot-pink regierte Wien unterscheidet sich bei der Budgetkonsolidierung nach wie vor deutlich von schwarz-blauen bzw. blau-schwarzen Ländern. Es setzt bei der Mindestsicherung nicht an, um gezielt zu zeigen, es nicht gut zu meinen mit Ausländern im Allgemeinen und Geflüchteten im Besondern; es geht ihm nicht um ein Signal für „Stopp der Zuwanderung in Sozialsystem“.

Es sieht sich aber zu einer Kursänderung gezwungen: Stellte es sich bisher der Herausforderung, die mit Aufnahme und Integration von Menschen einhergeht, so sagt es heute sinngemäß: Es ist uns finanziell zu viel geworden. Problem: Die Herausforderung verschwindet dadurch nicht, sie bleibt eher nur ungelöst, sodass es zu größeren Problemen kommen kann.

Wien ist von zentraler Bedeutung für die Sozialdemokratie. Wenn sie irgendwo sichtbar aufzeigen und viele Stimmen gewinnen kann, dann hier. In der Mehrheit der Bundesländer ist sie auf verlorenen Posten. Insofern ist es verhängnisvoll für sie, wenn sie jetzt de facto sagen muss, wir können uns Integration und angemessene Hilfe für alle, die es brauchen, nicht mehr leisten, ja auch Angebote in Bezug auf Mobilität und Bildung, die uns ausgezeichnet haben, sind uns zu teuer geworden.

Es ist auch verhängnisvoll aufgrund der Vorgangsweise und der Umstände: Michael Ludwig und Genossen haben bis zur Gemeinderatswahl im April eben nicht erkennen lassen, wie dramatisch die budgetäre Lage ist. Sie haben vielmehr auf Karl Nehammer und Magnus Brunner gemacht (die beiden ÖVP-Politik hatten den Leuten zuvor erzählt, dass es auf Bundeseben kein Sparpaket brauche). Und sie ziehen das ganze Kürzungsprogramm jetzt wie Beamte durch, die es nicht notwendig haben, Erklärungen abzugeben. Als wäre Kommunikation überflüssig.

Fast so irritierend ist, dass daneben die Parteienförderung in Wien ganz normal angepasst werden soll, sodass sie im kommenden Jahr höher sein dürfte als auf Bundesebene; oder dass laut Voranschlag 2026 auch die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt um über zwei Millionen Euro auf 54,6 Millionen Euro angehoben werden. Stichwort Inserate, die nichts mit Medienförderung zu tun haben, weil sie vor allem auch an den Boulevard gehen.

Nicht minder problematisch ist, dass das alles auch unter Umständen erfolgt, die nach sozialdemokratischer Vorstellung mehr und nicht weniger sozialdemokratische Politik notwendig machen würde. Gemeint ist Wohnbau bzw. die Schaffung von leistbarem Wohnraum. Zumal die Arbeiterkammer gerade gewarnt hat, dass die Kosten für zunehmend mehr Junge zu hoch seien in der Stadt. Eigentlich ein Alarmsignal.

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