Wer einmal blufft

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ANALYSE. Taktisch ist es klug von Karl Nehammer, eine Koalition unter Beteiligung von Herbert Kickl auszuschließen. In der Sache ist die Aussage jedoch unglaubwürdig und wertlos.

Wer soll ÖVP-Regierungsmitgliedern wie Alexander Schallenberg, Karoline Edtstadler und – allen voran – Karl Nehammer noch glauben: Sie haben mitgeteilt, keiner Regierung anzugehören, an der FPÖ-Chef Herbert Kickl beteiligt ist, oder eine solche überhaupt ausgeschlossen. Ihr Problem ist: Sie haben (schon) einmal geblufft. Im Herbst 2021 war das, als sie versuchten, Sebastian Kurz als Bundeskanzler zu halten und in einem offenen Brief erklärten, dass es eine ÖVP-Beteiligung in der bestehenden Regierung „ausschließlich“ mit diesem an der Spitze gebe. Sie haben das sogar mit ihrer Unterschrift bekräftigt. Wie man heute weiß, war diese jedoch wertlos. Nehammer war damals noch Innenminister, Edtstadler und Schallenberg waren bereits Verfassungs- und Außenminister.

Okay, dieser Brief ist ihnen schon so oft vorgehalten worden, dass es fast schon inflationär geworden ist. Man könnte sogar auf den Hinweis darauf verzichten. Verhängnisvoller für Nehammer und Co. ist dies:

A) In Niederösterreich und in Salzburg haben die ÖVP-Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner und Wilfried Haslauer vor den dortigen Wahlen so getan, als komme eine Koalition mit den Freiheitlichen nicht in Frage. Nicht wenige Wähler haben ihnen geglaubt. Das Ergebnis ist bekannt. In Niederösterreich hat Mikl-Leitner nicht einmal mit Rechtsextremen in der Koalition ein Problem.

B) Die ÖVP tendiert grundsätzlich dazu, mit dem zusammenzuarbeiten, an den sie am meisten verliert. Das ist die FPÖ. Abgesehen davon betreibt sie in wesentlichen Fragen eine Politik, bei der ihr diese am nächsten ist (Migrationspolitik, Europapolitik, Klimapolitik, Steuerpolitik, Familienpolitik, …).

C) Nehammers Behauptung, dass mit Kickl kein Staat zu machen sei, mag aufgrund antidemokratischer Züge (Stichwort „Volkskanzler“) korrekt sein, aber ist mit einer ÖVP ein Staat zu machen, die in einer Legislaturperiode drei Kanzler stellt (Kurz, Schallenberg, Nehammer) und die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft selbst als Beschuldigte geführt wird? Sie hat es sich schwer gemacht, sich als staatstragende Partei darzustellen.

D) Es ist unter anderem die ÖVP, der Herbert Kickl sein Amt als Innenminister 2018/2019 zu verdanken hatte.

E) Karl Nehammer bringt kein Gewicht als Bundeskanzler und Parteichef zusammen. Man ist in der ÖVP allenfalls froh, dass er sich das antut. Bei einer Kanzlerdirektwahl würde er jedoch nur auf jede fünfte Stimme kommen. So kann man mit ihm nicht einmal einen Persönlichkeitswahlkampf machen. Sprich: Nach der Wahl ist eingedenk der Tatsache, dass die ÖVP, ausgehend von 37,5 Prozent, mit massiven Verlusten rechnen muss, offen, ob er überhaupt noch eine Rolle spielen wird.

F) Erst vor kurzem hat Johanna Mikl-Leitner, die noch immer die mächtigste ÖVP-Politikerin ist und das wohl auch nach der kommenden Nationalratswahl sein wird, eine Koalition mit Kickl nicht ausgeschlossen.

Nehammer wird das wissen. Und taktisch mag es trotz allem klug sein, dass er sich gegen Kickl stellt: Es zählt zum Letzten, an das er sich noch klammern kann. Es ist wichtig für ihn, zu verhindern, dass es mehr und mehr zu einem Duell zwischen Kickl und Andreas Babler von der SPÖ kommen könnte, bei dem er dann gar keine Rolle spielt. Dann würden sogar weniger als 20 Prozent drohen für die ÖVP.

Er hat es sich jedoch verdammt schwer gemacht, damit noch durchzukommen. Seine Vertrauenswerte sind schlecht und werden immer schlechter. Laut APA/OGM-Index glaubt ihm nur noch gut ein Drittel der Menschen. Mehr als die Hälfte misstraut ihm. Das kommt nicht irgendwoher: Nehammer hat es verabsäumt, nach all den türkisen Affären unter Kurz einen Schlussstrich zu ziehen und einen Neubeginn zu setzen, der für Sauberkeit steht. Er tut immer so, als wäre das lediglich ein Elitenthema. Das ist ein Irrtum: Mit Korruptionsbekämpfung gewinnt man zwar keine Stimmen, es schafft jedoch ein Grundvertrauen und erleichtert es, mit Themen erfolgreich zu sein, die einer Masse unter den Nägeln brennen.

Zweitens: Nehammer steht mit seiner Partei vor allem für keine wirklich andere Politik als Kickl. Türkise Angriffe auf „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk, das Veto gegen eine Schengen-Erweiterung, Allianzen mit Viktor Orbán, EU-Bashing und vieles andere mehr kommt diesem zu nahe.

Drittens: Nach Jahrzehnten in der Regierung schafft es die ÖVP weniger denn je, zu vermitteln, was sie eigentlich noch für Land und Leute will. Es scheint ihr nur darum zu gehen, an der Macht zu bleiben und Klientelpolitik fortsetzen zu können. Da spricht summa summarum zu viel dagegen, dass sie Kickl nicht zum Kanzler macht, wenn’s draufankommt – und sie so den Gang in die Opposition oder eine Koalition mit einer Babler-SPÖ verhindern kann.

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