ANALYSE. … ist der FPÖ-Aufstieg noch lange nicht gebremst und hat die ÖVP ein Riesenproblem.
Würde man zum Jahreswechsel eine kurze Geschichte der FPÖ seit ihrer Gründung schreiben, müsste man 2016 ein größeres Kapitel widmen: Schon heute ist schließlich klar, dass die Partei da ihre größten Erfolge gefeiert haben wird. Norbert Hofer lässt als Präsidentschaftskandidat selbst die Ära Haider vergessen – dass einmal gut die Hälfte all jener, die bei einem bundesweiten Urnengang eine gültige Stimme abgeben, diese einem Freiheitlichen gewähren würden, war zu Jahresbeginn noch schier undenkbar.
Vor diesem Hintergrund ist es schon ein kleines Stück weit nebensächlich, wie die Wahl am 4. Dezember ausgeht. Ob Hofer 49 oder 51 Prozent bekommt, ändert nichts mehr am grundsätzlichen Potenzial, das er für das dritte Lager eröffnet hat. Doch dazu weiter unten.
Welche Folgen hätte ein Wahlsieg Alexander Van der Bellens? Wie ein solcher Hofers würde auch dieser wohl nicht ohne Folgen für die österreichische Innenpolitik bleiben:
Zunächst einmal müsste die Regierung nicht damit rechnen, entlassen zu werden. Hofer hat sich einen solchen Schritt ja vorbehalten. In der Hofburg würde vielmehr ein Kandidat einziehen, der sein Amt in der Tradition seiner Vorgänger ausüben würde. Mit einer Ausnahme: Bei Staatsverträgen wie CETA könnte er im Unterschied zu diesen auch dann seine Möglichkeit nützen, sie zu blockieren, wenn Regierung und Nationalratsmehrheit dafür wären.
Die weitreichendsten Folgen hätte ein Sieg des ehemaligen Grünen-Chefs sehr wahrscheinlich für die ÖVP: Gewichtige Teile der Partei – Klubobmann Reinhold Lopatka und die Niederösterreicher -, die an einer Rechtswende arbeiten, würden eine Niederlage erleiden. Sie, die auch hinter Sebastian Kurz als Spitzenkandidat für kommende Nationalratswahlen stehen, würden sich jedenfalls schwertun, die Richtungsentscheidung in der ÖVP in ihrem Sinne durchzusetzen. Und das wäre ein Problem für die Partei, ist eine Entscheidung doch ohnehin schon überfällig und hat Mitterlehner nicht mehr die Kraft, sich durchzusetzen. Die Folge: Das Chaos würde sich fortsetzen.
Damit bliebe der FPÖ ein Höhenflug erspart, der ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht viel bringen würde.
Für die SPÖ wäre ein Van-der-Bellen-Erfolg genauso trügerisch wie für die Grünen: Kaum hat sich Kanzler Christian Kern (SPÖ) strategisch nach rechts zu den Freiheitlichen umorientiert, würde sich durch ein solches Wahlergebnis zeigen, dass es eine Mehrheit gegen die Rechte gibt. Soll er sich also doch wieder dranmachen, eine rot-grün-pinke Koalition vorzubereiten? Ein solches Hin und Her könnte er sich kaum leisten. Die Grünen wiederum haben schon bisher nicht von Van der Bellens Wahlerfolgen im April und Mai profitiert: Warum also sollen sie es diesmal tun, zumal sein Erfolg eher auf einer Ablehnung von Hofer beruht und weniger auf einem Wunsch nach ihm?
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Die FPÖ könnte eine Niederlage Hofers wiederum locker verschmerzen: Damit bleibt ihr ein möglicher Höhenflug erspart, der ihr zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht viel bringt. Von Dauer wäre er kaum, zumal sich Hofer als Staatsoberhaupt zurückhalten müsste, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle Strache ins Kanzleramt verhelfen. Und viel wichtiger ist für die Freiheitlichen ein Höhenflug zur Nationalratswahl. Davon, dann vorne zu liegen, haben sie viel mehr. Wenn, wie beschrieben, ÖVP und SPÖ nach einem Van der Bellen-Sieg nur noch größere Orientierungsprobleme hätten, könnte ihnen das auch nur recht sein. Klären müsste sie nur, wer ihr Kanzlerkandidat wird: Strache oder Hofer?
> Und wenn Hofer gewinnt? Szenarien für diesen Fall lesen Sie hier