ANALYSE. Der Parteigründer geht überraschend. Zurück bleibt eine Partei, die vor einem Neustart, vielen Unbekannten und damit einer offenen Zukunft steht.
„Die Stimme meines Herzens sagt jetzt, es ist der Zeitpunkt gekommen, die Führungsverantwortung geordnet und schrittweise zu übergeben“, teilte NEOS-Gründer und -Chef Matthias Strolz am 7. Mai 2018 in einer Presseerklärung im Parlament mit: Die „Pionierphase“ sei abgeschlossen, die nächste Etappe gehe an. 2030 sollen die NEOS demnach eine 20-Prozent-Partei sein.
Ja, das ist ein bisschen viel: Geht das überhaupt? Möglich, aber nicht sicher. Vielleicht sollte das auch nur dazu dienen, jeden Zweifel im Keim zu ersticken, dass jetzt alles vorbei sein könnte. Wie auch immer: Strolz hat in seiner gut halbstündigen Erklärung mehrfach deutlich gemacht, wie untrennbar die Bewegung mit ihm allein verbunden ist. Sie ist seinen eigenen Darstellungen zufolge letzten Endes auf sein Buch „Warum wir Politikern nicht trauen“ (2011) gefolgt. In den dutzenden Wahlkämpfen seit ihrer Gründung sei er „immer mitten drin, immer dabei“ gewesen.
Und es ist in der Tat so gewsen: Ohne Matthias Strolz wären die NEOS 2013 nicht in den Nationalrat gekommen und ohne ihn hätten sie 2017 den Verbleib ebendort nicht geschafft. Da soll sich niemand etwas vormachen: Dass es in Österreich zumindest in den urbanen Räumen ein größeres Potenzial für eine offene Politik gibt, hat man zuletzt in Innsbruck gesehen, wo die Grünen zur stimmenstärksten Partei und ihr Spitzenkandidat Georg Willi zum Bürgermeister gewählt worden ist. Jüngere, höher Gebildete, Selbstständige gehen zum Teil auf Distanz zur schwarzen und zur türkisen ÖVP. Die NEOS sind daher nicht zufällig in den städtischeren Gebieten der Republik am stärksten.
Aber das Potenzial ist gar nicht so einfach zu fassen: 2013 hat ein leidenschaftlich kämpfender Matthias Strolz all jene gewonnen, die von der alten Volkspartei genug hatten. 2017 war diese Volkspartei weg. Und daher musste Strolz neue Wähler gewinnen – weil von der Viertelmillion, die er letztlich holte, nur gut 100.000 vom ersten Mal treu geblieben waren. 60.000 waren zur „Neuen Volkspartei“ von Sebastian Kurz abgewandert.
So gesehen ist die Aufbauphase nicht abgeschlossen, sie muss immer weiter fortgesetzt werden.
So gesehen ist die Aufbauphase nicht abgeschlossen, sie muss immer weiter fortgesetzt werden: Auch bei den vergangenen Landtagswahlen waren die NEOS mit einem relativ geringen „Stammwähleranteil“ gegenüber der Nationalratswahl vom Oktober konfrontiert; sie mussten also wieder andere Wähler überzeugen. Dass ihnen das bisher immer wieder gelang, hat mit den Mitbewerbern, aber auch mit ihnen selbst und der Anpassungfähigkeit von Strolz zu tun: Angefangen hatte er einst mit dem Bemühen, sachorientierte Politik zu machen. Im Laufe der Zeit erkannte er jedoch, dass Zuspitzung entscheidend ist, um durchzukommen. Angefangen hatte er einst im Übrigen so voller Energie und Tatendrang, dass man hin und wieder sicherheitshalber am liebsten in Deckung gegangen wäre. Im letzten Nationalratswahlkampf ist er zurückhaltender, um nicht zu sagen: staatstragender, aufgetreten – was ihm eben auch neue Wähler bescherte.
Heute befinden sich die NEOS neben dem Nationalrat in fünf Landtagen. Und auch wenn bei Umfragen wohl viele nur Matthias Strolz mit der Partei verbinden werden, haben sich daneben zugkräftige Persönlichkeiten etablieren können: Beate Meinl-Reisinger in Wien oder Josef Schellhorn in Salzburg etwa. Bei ihnen sieht man allerdings auch, wie dünn die Personaldecke ist: Beide sehen sich in der Bundespolitik zu unabkömmlich, um trotz Spitzenkandidaturen bei Landtagswahlen in jedem Fall auch ganz auf Landesebene tätig zu sein.
Kann das überhaupt jemand so wie er? Möglich, aber nicht sicher. Ist genug Inhalt da? Das wohl.
NEOS ohne Strolz läuft auf einen Neustart mit vielen Unbekannten hinaus: Kann das überhaupt jemand so wie er? Möglich, aber nicht sicher. Ist genug Inhalt da? Das wohl. Im Unterschied zu anderen Parteien, die so sehr auf eine Person konzentriert sind, haben sie ein Programm, das unabhängig von dieser Person steht. Das eine hängt jedoch mit dem anderen zusammen: Politik ist nicht nur, vermeintlich Richtiges zu wollen, sondern auch die Aspekte und Worte zu finden, die eine gewisse Masse überzeugen.
Offen ist auch, wie es bei den NEOS ohne Strolz intern weitergehen kann: Man kann wohl kaum überschätzen, dass er, gerade weil er sie gegründet und gehalten hat, eine Autorität darstellte und auch über eine Klammerfunktion verfügte: Was er sagte, hatte automatisch Gewicht. Darüber muss eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger erst verfügen.
Zumal es in den nächsten Jahren mehr denn je gelten könnte, die NEOS durch Mühen der Ebene zu führen, und dabei sehr viel Ausdauer und Disziplin bei allen Funktionären nötig sein wird: So lange sich Schwarz-Blau hält, bleibt auf Bundesebene nicht die Mitgestaltungs-, sondern die Oppositionsrolle; und einiges spricht dafür, dass das zumindest noch neun Jahre so sein wird.