Was Kern von Mitterlehner lernen kann

ANALYSE. Eine Grundsatzrede allein bringt exakt null. Wenn daraus keine Bewegung entstehen soll, ist es besser, gleich gar keine zu halten. 

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ANALYSE. Eine Grundsatzrede allein bringt exakt null. Wenn daraus keine Bewegung entstehen soll, ist es besser, gleich gar keine zu halten.

Medienberichten zufolge will jetzt also auch Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern eine Grundsatzrede halten. Und zwar im Jänner. Zeit wird’s: Sieben Monate nach seinem Amtsantritt hat der 50-Jährige bis heute nicht weiter ausgeführt, was sein Plan ist. Laut Tiroler Tageszeitung hatte er das ursprünglich für Oktober vorgehabt. Dann kam jedoch die Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl dazwischen. Diese ist nun geschlagen. Also kann er ans Werk gehen.

Dabei könnte er von seinem Vizekanzler, ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner Entscheidendes lernen: Eine Rede allein ist gar nichts. Vor allem in so schnelllebigen Zeiten ist sie bald vergessen. Kein Mensch spricht heute denn auch noch von der Erklärung, die der Oberösterreicher am 21. Oktober in der Wiener Akademie der Wissenschaften gehalten hat. Der Mut ist verflogen, könnte man in Anlehnung an den Titel („Nur Mut bringt uns weiter“) sagen.

Kaum ein Mitstreiter Mitterlehners trug seinen Mut-Gedanken weiter; und auch er selbst tat nichts mehr dafür.

Mitterlehner hatte versucht, sich und seine Partei aus dem ewigen Wirtschafts- und Flüchtlingskrisengejammere herauszuholen: Die Zeiten seien herausfordernd. Von Globalisierung über neue Arbeitswelten bis hin zur Migration – die Menschen machten sich Sorgen, stellte er fest. Was aber würden die politischen Mitbewerber tun? Sie spielten mit den Ängsten. Die ÖVP sei da anders, sie sei die einzige Partei, die Mut mache.

Tatsächlich? Ein ambitionierter Ansatz jedenfalls, der aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt ist: Kaum ein Mitstreiter Mitterlehners trug seinen Gedanken weiter; und auch er selbst hat seither nicht dafür gesorgt, dass vom Boden- bis zum Neusiedlersee etwas daraus entsteht. Im Gegenteil: Ein Blick auf die Website zur Rede zeigt, dass seit dem 21. Oktober nichts mehr passiert sein dürfte.

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Will Christian Kern mit seiner Rede nicht dasselbe Schicksal erleiden, muss er daraus lernen: Man kann noch so mitreißend und visionär sein, zwei Stunden lang vor großem Publikum sprechen; man kann all das im Übrigen noch so schön in Szene setzen, fotografieren und retweeten lassen. Wenn man glaubt, dass eine Rede allein etwas auslösen könne, wird das nix.

Zu Herr und Frau Österreicher dringt eine Rede allein nicht durch.

Nehmen wir an, Kern hält einen flammenden Appell für eine „solidarische Hochleistungsgesellschaft“ (Copyright: Alfred Gusenbauer). Und er erklärt auch, was er darunter versteht. Zu Herr und Frau Österreicher wird das allein noch nicht durchdringen; auch wenn alle Medien darüber berichten.

Eine solche Grundsatzrede macht nur dann Sinn, wenn sie Auftakt zu einem Prozess ist: Damit Herr und Frau Österreicher davon gewonnen werden, muss das etwa auf Veranstaltungen vor ihrer Haustüre über Monate hinweg wiederholt und gemeinsam mit ihnen weiterentwickelt werden. Allein so kann eine Bewegung entstehen, die zum letztlich wohl gewünschten Ziel führt: einem Wahlerfolg.

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