Was Karas disqualifiziert

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ANALYSE. Der bisherige Vizepräsident des EU-Parlaments wäre der ideale Kommissar. Genau das ist jedoch das Problem für seine Partei, die ÖVP. Sie will es sich nicht ganz verscherzen mit freiheitlichen Wählern. (Wie sie auch im Umgang mit Orban zeigt.)

Eine Mehrheit könnte Othmar Karas sicher sein, wenn es um die Frage geht, ob er EU-Kommissar werden soll. Es ist halt nur nicht die entscheidende: In Videos, die er zu seinem Abschied als Vizepräsident und Mitglied des Europäischen Parlaments online gestellt hat, zollen ihm viele Respekt: Der Sozialdemokrat Christian Kern, die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Neos-Mann Sepp Schellhorn. Aber auch (eher) Schwarze, also Vertreter einer traditionelleren ÖVP: Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer bezeichnet ihn als „Mister Europa“, Finanzminister Magnus Brunner als „überzeugten Europäer“.

Für prominente Bürgerliche ist es überhaupt keine Frage, dass der 66-Jährige EU-Kommissar werde sollte: „Der europäischste Österreicher, den ich kenne, mit der größten Erfahrung in Europa ist Othmar Karas“, sagte Andreas Treichl zur APA. Christian Konrad bezeichnete ihn gegenüber dem „Standard“ wiederum als „idealen Mann für Brüssel“.

Die türkise ÖVP, die mit Grünen entscheidet, will jedoch nichts davon wissen. Sie bringt damit unfreiwillig zum Ausdruck, wie wenig Kompetenz bei solchen Fragen zählt. An Karas kommt diesbezüglich kaum jemand heran. Abgesehen davon könnte die Partei gerade in diesem Fall über ihren Schatten springen: Ein Kommissar ist Europa verpflichtet. Er wird sicher noch den Anruf eines Parteifreundes aus Wien annehmen, um sich dessen Anliegen anzuhören, ein Vertreter nationaler oder gar türkiser oder auch schwarzer Interessen wird er vom ersten Tag an aber nicht mehr sein. Er dient allein der Union.

Für die ÖVP von Karl Nehammer, die nach wie vor dem Geist von Sebastian Kurz verpflichtet ist, disqualifiziert sich Karas jedoch aus zwei Gründen. Der erste ist, dass er sich spätestens bei seiner Rücktrittsankündigung im vergangenen Oktober zumindest illoyal verhalten hat ihr gegenüber. Dass er, im Klartext, ein vernichtendes Urteil über sie gefällt hat. Zitat: „Ich halte es für einen Fehler, dass in den letzten Jahren versucht wurde, Extreme und Fehlentwicklungen dadurch zu bekämpfen, dass man sich an die Ränder anbiedert und deren Politik kopiert. Damit wird die Mitte verlassen, der Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel gesetzt und damit geht jede Glaubwürdigkeit verloren.“

Eine starke, selbstbewusste Volkspartei könnte Größe zeigen und insgeheim feststellen, dass er eh recht habe. Sie ist aber weder groß noch selbstbewusst: Sie weiß ganz genau, dass zutrifft, was er sagt. Sie betreibt diese Anbiederung an die Ränder, also an die FPÖ und ihre Wählerinnen und Wähler, gezielt. Sie weiß, dass sie damit die Mitte aufgibt, mag sich das aber nicht eingestehen, ja sich keinen Spiegel vorhalten lassen. Karas hat im Grunde genommen nur festgestellt, wie sie dasteht. Und allein das ist für sie, ist für Nehammer schon unentschuldbar. Es könnte, so die Befürchtung, Schule machen. Dann ist „Message Control“ erledigt, das ganze Mitte-Gerede nur noch lächerlich.

Wichtiger für die ÖVP ist der Blick auf die Nationalratswahl bzw. den Wahlkampf bis dahin: Wie stünde sie, die eben freiheitliche Wählerinnen und Wähler umwirbt, da, wenn sie Karas als Kommissionsmitglied zulassen würde? Unglaubwürdig gegenüber dieser Zielgruppe, die ihr wichtig ist, und die im Sinne von Herbert Kickl (FPÖ) eher antieuropäisch tickt.

Dieser Hintergrund ist im Übrigen auch ein Motiv für türkise Regierungsmitglieder, informelle Ministertreffen in Ungarn nicht zu boykottieren. Viktor Orbans Reise zu Wladimir Putin hin oder her, man solle die Kirche im Dorf lassen, findet Außenminister Alexander Schallenberg. Gerade jetzt gelte es zusammenzuarbeiten und den Dialog zu suchen, lässt laut ZIB wiederum Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig wissen. Wobei ihm nicht einmal aufgefallen sein dürfte, dass es Orban war, der auf derlei gepfiffen hat und sich unmittelbar nach Übernahme der Ratspräsidentschaft durch Ungarn unabgesprochen mit den übrigen EU-Mitgliedern nach Moskau begeben hat. Andererseits: Sich gegen Orban stellen heißt auch, sich gegen einen Teil der Wählerinnen und Wähler stellen, die einem wichtig sind. Daher unterlässt man es.

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