ANALYSE. Der ehemalige EU-Parlamentspräsident führte seine Partei in kürzester Zeit in lichte Höhen. Sein Genosse in der Alpenrepublik kann davon nur träumen. Aus guten Gründen.
In Deutschland hat der Politische Aschermittwoch Tradition. Nicht nur bei den Christdemokraten: Zum 98. Mal lädt die bayerische SPD heuer zum Spektakel nach Vilshofen bei Passau. Ab neun Uhr soll es laut Programm „zünftige Blasmusik“ geben und sobald die 5000 Gäste Platz genommen und ihr Bier bekommen haben, losgehen. Wobei es ausnahmsweise international werden wird: Reden halten werden der designierte SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz sowie sein Genosse aus Österreich, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ).
Das wird spannend. Beim letzten Mal, als Schulz auf einer Veranstaltung neben einem österreichischen Regierungschef gesprochen hat, hat er diesem Probleme bereitet. Vor fünf Jahren war das, auf dem damaligen SPÖ-Parteitag in St. Pölten: Schulz war als Einpeitscher vorgesehen, der gute Stimmung für Werner Faymann machen sollte. Am Ende sorgte seine flammende Rede für ein gerechteres Europa jedoch dafür, dass vielen Funktionären erst so richtig klar wurde, wie leidenschaftslos Faymann eigentlich ist; im Amt bestätigt wurde er (ohne Gegenkandidaten) prompt von nur 83 Prozent.
Kern ist gewarnt; wer neben Schulz redet, will sich gut darauf vorbereiten, um nicht allzu stark abzufallen.
Kern ist nun immerhin gewarnt; wer neben Schulz redet, will sich gut darauf vorbereiten, um nicht allzu stark abzufallen. Auf Augenhöhe wird er es kaum schaffen: Schulz ist gerade zum Superstar aufgestiegen. Wo er hinkommt, wird er gefeiert wie ein Popstar, die SPD verzeichnet angeblich eine Eintrittswelle – und liegt in Umfragen praktisch gleichauf mit CDU/CSU. Vor wenigen Wochen schien so etwas nicht einmal theoretisch möglich zu sein.
Kern dagegen kommt mit der SPÖ nur mühsam vom Fleck: Nach einem Dreivierteljahr befindet sie sich allenfalls in Geheimumfragen vor den Freiheitlichen. Und wenn die ÖVP mit Sebastian Kurz in die nächste Nationalratswahl zieht, dann muss sie sich auch noch mit ihr bzw. ihm herumschlagen. Sprich: Dass Kern Kanzler bleibt, ist alles andere als sicher.
Was hat Schulz also, war er nicht hat? Der Deutsche hat nicht nur die Gabe, so zu reden, dass er ganz besonders „den kleinen Mann“, den er im Auge hat, begeistert; er, der einst eine Lehre gemacht hat, verkörpert auch glaubwürdig dessen Welt. Wobei er noch hemmungslos drauflegt: Vom „Spiegel“ wird er mit dem Hinweis zitiert, dass ihn nicht das Denken der „Eliten“ interessiere, sondern das der „hart arbeitenden Menschen“.
Schulz muss keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit befürchten, weil er frei ist. Formal trägt er keine Verantwortung.
Das ist starker Tobak für einen, der zuletzt immerhin EU-Parlamentspräsident war und daher zu „denen da oben“ gehörte. Doch abgesehen davon, dass man solche Worte eher von Rechtspopulisten kennt, muss Schulz keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit befürchten, weil er quasi frei ist: Formal gesehen hat er im Moment keine Funktion und damit auch keine Verantwortung. Er kann sagen, was er will; an Taten gemessen werden kann er nicht. Und das kostet er aus.
Bei Christian Kern ist dagegen vieles anders: Im Unterschied zu Schulz würde er nie als Kumpel eines Arbeiters durchgehen. Doch darum bemüht er sich zu seinem Glück auch gar nicht weiter. Sein Handicap ist auf der anderen Seite aber, dass seine Zielgruppe nicht so klar ist: Einmal sind es die Wähler, die es in den vergangenen Jahren zur FPÖ gezogen hat, und die sich als Wohlstandsverlierer betrachten; ein anderes Mal sind es Selbstständige, die sich mit der Sozialversicherungsanstalt und dem Arbeitsinspektorat herumplagen.
Kern trägt Verantwortung, führt eine unmögliche Koalition, traut sich aber nicht, diese aufzukündigen.
Im Übrigen hat er gegenüber Schulz den „Nachteil“, dass er Verantwortung trägt, eine unmögliche Koalition führt, sich aber nicht getraut, diese aufzukündigen. Das fesselt ihn in vielfacher Weise: Zunächst kann er es sich nicht leisten, zu Problemstellungen, wie dem Umgang mit der Flüchtlingskrise, nur allgemeine Stehsätze zu produzieren. Er muss für Lösungen sorgen. Und dabei muss er sich wiederum mit seinem Regierungspartner arrangieren. Womit nicht mehr so viel Kern übrigbleiben kann, wie er es selbst sehr wahrscheinlich gerne hätte und es für einen sozialdemokratischen Erfolgslauf nötig wäre.