Was glaubt Nehammer?

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ANALYSE. Der Kanzler kopiert Figl und transportiert denn auch Bilder aus einem vergangenen Jahrhundert. Im Übrigen vergisst er, was Optimismus vorausgehen müsste.

Als Karl Nehammer das Leopold-Figl-Zitat „Glaubt an dieses Österreich“ in die Gegenwart zu übernehmen und den Leuten kumpelhaft „Glaub an Österreich“ zuzurufen, das muss man sich erst einmal trauen. Und selbst wenn: Es zeugt von einem Unvermögen, mit Geschichte umzugehen. Es vermittelt, dass das Damals (Nahkriegszeit) und das Heute miteinander vergleichbar seien. Vielleicht aber ist Nehammer und seinen Beratern das alles vollkommen egal. Weil es ihnen darum geht: Sie wollen Herbert Kickl einen andersartigen Patriotismus entgegenhalten.

Werbeleute sagen sinngemäß, man könne keine gute Kampagne für eine schlechtes Produkt machen. Das gilt auch hier. Blendet man sehr vieles aus, ist die Idee von Nehammer und seinen Leuten nicht übel. Sie könnte sogar gut sein: Sich in Zeiten wie diesen an etwas klammern und hoffen zu können, dürfte einer verbreiteten Sehnsucht entsprechen; ähnlich jener nach einer Art Normalität, also altbekannter Sicherheit und Stabilität.

Das Problem im konkreten Fall ist jedoch, dass es damit kaum möglich sein wird, bei einer Masse anzukommen. Aus (zumindest) fünf Gründen.

Erstens. In Wirklichkeit ist (quasi) auch dem letzten Altösterreicher bewusst, dass Österreich heute noch viel weniger „alleinstehend“ ist als zu Figls Zeiten. Stichwort europäische Integration. Zumindest eine Mehrheit meint im Übrigen nach wie vor, dass das gut so ist. Weil nur so alle möglichen Herausforderungen bewältigt werden können. Nehammer blendet das jedoch komplett aus. Er vermeidet jeden Hinweis auf das, was gerade auch in Zeiten wie diesen stark machen könnte; nämlich Teil der EU zu sein. (Klar, wer sich mit Kickl messen will, muss auf einen solchen Hinweis verzichten.)

Zweitens. Nehammer spricht in seinem Werbevideo gezielt Bauern an und lässt Blasmusikanten einblenden. Er stellt ein Österreich dar, wie es in einem vergilbten Tourismuskatalog präsentiert wird. Auf moderne Diversitäten verzichtet er. Als hätte er in den vergangenen 50 Jahren geschlafen. Dabei sind gerade auch diese Diversitäten ein Standortfaktor, ob nach Herkunft oder was auch immer.

Drittens. Der Kanzler lässt bei alledem eine gefährliche Selbstgefälligkeit mitschwingen. Motto: „Wir machen das schon, weil wir gut sind.“ Schaut man sich internationale Vergleiche an, könnte einem jedoch mulmig werden. Seit Jahren herrscht Reformstillstand. Seit Pandemiebeginn wird das damit begründet, dass man andere Sorgen habe. Das ist ungefähr so wie ein Läufer, der nicht mehr trainiert, aber behauptet, er werde eine Top-Zeit schaffen. Ja, ja.

Viertens. Da und dort nährt das Kabinett Nehammer eher Hoffnungslosigkeit. „Grundsatzdiskussionen bringen nichts“, sagt ausgerechnet Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP). In einem innovativen Unternehmen, das sich auch übermorgen noch behaupten möchte, wäre er gefeuert. Zum Wohle der Jugend darf es kein Tabu geben. Müsste es auch möglich sein, das gesamte Schulsystem neu aufzustellen, wenn es notwendig erscheinen würde. These: Erst wenn eine prinzipielle Bereitschaft zu solchen Dingen signalisiert werden würde, könnten Kinder – und mit ihnen ihre Eltern – zuversichtlich nach vorne schauen.

Fünftens. Nehammer will nicht einsehen, dass er im Sinne der Glaubwürdigkeit ein paar Hausaufgaben erledigen müsste. Es geht um Korruptionsaffären. Und dabei reicht schon, was politisch vorliegt: Es gibt nicht nur einen roten Kommunalpolitiker, der mit Insiderwissen ein Grundstück gekauft hat, das später umgewidmet und so quasi wertgesteigert wurde; es gibt auch den schwarzen Bürgermeister Alfred Riedl in Niederösterreich. Konsequenzen? Null. Abgesehen davon existiert noch immer ein Amtsgeheimnis und keine Bereitschaft, zu echter Informationsfreiheit zu kommen. All das steht dafür, dass der Kanzler nicht bereit ist, eine neue Politik zu machen, die den Ansprüchen aufgeklärter Bürgerinnen und Bürger im 21. Jahrhundert gerecht wird. Doch ihnen will er dutzend (!) sagen, dass sie an Österreich glauben sollen? Geh bitte.

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