Was bleibt von der ÖVP?

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ANALYSE. Letzten Endes hat Sebastian Kurz Politik für die Freiheitlichen gemacht. Nachdem er weg ist und Leute wie Nehammer und Mikl-Leitner das Sagen haben in der Volkspartei, räumen sie ab.

Die gesellschaftliche Mitte löst sich in Zeiten multipler Krisen auf: Ein Teil stellt sich den Herausforderungen und wählt etwa Neos oder Grüne, die zusammen immerhin 20 Prozent halten. Ein anderer Teil resigniert und sehnt sich mehr und mehr zurück nach einer vermeintlichen Ordnung der Vergangenheit. Er tendiert zu Blauen oder Türkisen. Und wenn die Türkisen auslassen, dann eben zu den Blauen.

Die ÖVP läuft Gefahr, mit ihrer Existenz dafür zu bezahlen, sich 2017 ganz Sebastian Kurz überlassen zu haben. Damit war endgültig Schluss mit Europapartei oder einem pragmatischen, lösungsorientierten Zugang zu Migration und Integration, wie man ihn etwa im bürgerlichen Vorarlberg seit Jahrzehnte praktiziert. Es war auch Schluss mit Ansätzen ernstgemeinter Bildungspolitik und mit vielem anderem mehr. Es ging nur noch darum, den Freiheitlichen mit freiheitlichen Methoden Wind aus den Segeln zu nehmen, tendenziell europafeindlich zu sein und so zu tun, als wäre es das wichtigste, für Zugwanderer möglichst unattraktiv zu erscheinen. Bezogen auf Wahlergebnisse ging das mit Kurz auf.

Nach Kurz rächt sich das jetzt doppelt: Man hat hier freiheitliche Zugänge salonfähig gemacht, also im Grunde genommen Wählerinnen und Wähler für Herbert Kickl mobilisiert. Kurz hat solche Leute noch für sich gewinnen können. Karl Nehammer und Johanna Mikl-Leitner können es nicht mehr.

Nehammer ist vor eineinhalb Jahren als Lernender angetreten, zeigte das Bemühen, insbesondere in der Coronabekämpfung der Wissenschaft mehr Platz einzuräumen. Davon geblieben ist nichts, er tut eher so, als sei er bei unpopulären Maßnahmen auf Experten hereingefallen. Im Übrigen hat er sich bald mit Viktor Orban zusammengetan und mit dem Schengen-Veto ebenso deutliche Signale gesetzt wie mit seinem Festhalten am Autoland Österreich.

Mikl-Leitner hat schon im niederösterreichischen Landtagswahlkampf eine Politik betrieben, die auf Freiheitliche ausgerichtet war. Durch ihre Forderung etwa, Klimaklebern mit Haftstrafen zu drohen. Oder durch ihr Lob für die Flüchtlingspolitik ausgerechnet von FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl. Allein: Nachdem sie im Unterschied zu Kurz kaum Wirkung auf Wählerinnen und Wähler hat, wechseln diese gleich zu den Freiheitlichen.

Durch die gemeinsame Regierung in St. Pölten verstärkt sich das: Es ist nicht einmal mehr ein Problem, was Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, in einem Gastkommentar in der Tageszeitung „Der Standard“ ausführte. Zitat: „Unter den führenden Vertretern der FPÖ Niederösterreich finden sich Personen, die stolz den Hitlergruß zeigen, Burschenschaften angehören, in denen Nazi-Liederbücher gefunden wurden, diese Liederbücher aktiv bewarben, in Facebook-Gruppen mit Shoah-Leugnern sind, Nationalsozialisten huldigen, eine Registrierungspflicht für Jüdinnen und Juden einführen wollen, Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen haben, die Rassismus und Homophobie verbreiten, die Menschenrechte infrage stellen und Hilfe an Erdbeben-Opfer in der Türkei verweigern.“

Es ist nicht so, dass diese Entwicklung der ÖVP, die auf eine Selbstauflösung hinausläuft, niemanden stört in ihren Reihen. Othmar Karas steht stellvertretend für viele dagegen. Auch der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) machte in einem „Standard“-Interview gerade klar, wie wenig er von Nehammers Ausführungen in der Rede zur Zukunft der Nation hält: „Ich habe da und dort unterschiedliche Zugänge. In Bezug auf das von Karl Nehammer angesprochene Verbrenner-Aus halte ich fest: Ich bin ein totaler Fan von Elektromobilität.“ Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) wiederum wollte keinen Kommentar abgeben, als bekannt wurde, dass in Niederösterreich Türkis-Blau kommt. Allein: Ihnen mag das, was da läuft, Unbehagen bereiten. Für eine andere ÖVP, die eine Perspektive haben und Wahlerfolge erziehen könnte, sind sie aber zu leise.

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