Warum Neuwahlen noch heuer sein müssen

ANALYSE. Kern und Kurz können und wollen zu keiner gemeinsamen Außenpolitik finden. Eine EU-Präsidentschaft ist unter diesen Umständen ganz und gar unmöglich. 

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ANALYSE. Kern und Kurz können und wollen zu keiner gemeinsamen Außenpolitik finden. Eine EU-Präsidentschaft ist unter diesen Umständen ganz und gar unmöglich.

Man muss es nicht als „Wahlkampf“ bezeichnen, was Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) betreiben. Es reicht schon, wenn man feststellt, dass sie einander ganz offensichtlich einen europapolitischen Wettstreit liefern: Als SPÖ-Chef lässt Kern einen „Plan E“ ausarbeiten, während Kurz in einem Ressort einen Vorschlag für eine EU-Reform entwickeln lässt. Ein gemeinsamer Plan ist nicht in Sicht.

Vor einer Woche wiederum forderte Kurz ein Auftrittsverbot für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Österreich. „Es macht keinen Sinn, hier Drohungen auszustoßen“, reagierte Kern zunächst zurückhaltend darauf, um die Sache dann aber in einem Interview mit der deutschen „Welt“ quasi aufzudoppeln – und sich für ein europaweites Wahlkampfverbot für türkische Politiker auszusprechen. Doch da ist Kurz schon wieder weiter und verlangt eine „schnelle EU-Eingreiftruppe“.

Man kommt kaum nach, den beiden zu folgen. Und zumal sie sich da nicht zu irgendwelchen Nebensächlichkeiten äußern, ist es an der Zeit, die Stopp-Taste zu drücken: Wenn Kern und Kurz nicht bereit sind, sich abzusprechen, wenn es ums Äußere geht, müssen sie die Konsequenzen daraus ziehen und die ohnehin nicht stattfindende Zusammenarbeit beenden. Und zwar aus zumindest zwei Gründen, wie Beispiele dazu verdeutlichen sollen:

  • Die Entwicklungen in der Türkei sind dramatisch. Das Land ist auf dem Weg zu einer Präsidialdiktatur, Menschenrechte werden mehr denn je mit Füßen getreten. Da ist es das Mindeste, dass rot-weiß-rote Regierungsvertreter zu einer gemeinsamen Sprachregelung finden. Alles andere schwächt Österreich insgesamt.
  • Mit 1. Juli 2018 übernimmt Österreich in einer besonders spannenden Zeit den EU-Vorsitz. Stichwort Brexit, der wiederum eine Neuaufstellung der Europäischen Union erfordert. Würden österreichische Vertreter da als Verhandlungsteilnehmer nicht mit einer Zunge sprechen, wäre das schon schlimm genug. Sie sollten die Entwicklungen aber ein Stück weit führen; da sind Differenzen untereinander ein Unding.

So gesehen ist ihr Verhalten nachvollziehbar. Besser macht es die Sache aber nicht.

Nüchtern betrachtet spricht jedoch nichts dafür, dass der Bundeskanzler und der Außenminister in all diesen Fragen auf einen grünen Zweig kommen. Zu viel steht innenpolitisch auf dem Spiel für sie: Kern wird als SPÖ-, Kurz aller Voraussicht nach als ÖVP-Spitzenkandidat in die nächste Nationalratswahl ziehen. Das würde sie schon grundsätzlich zwingen, sich zu profilieren, ganz besonders tut es das nun aber, weil sie alles gewinnen, aber auch alles verlieren – sprich: auf der Oppositionsbank landen – können. So gesehen ist ihr Verhalten nachvollziehbar. Besser macht es die Sache aber nicht. Also wäre es ihre Pflicht, die Wahlentscheidung zumindest auf den heurigen Herbst vorzuziehen. Es wäre im Interesse der Republik. 

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