ANALYSE. Die Migrationspolitik des Kanzlers wird nun auch von drei weiteren Regierungsmitgliedern kommuniziert: Schallenberg, Raab, Edtstadler. Die Grünen sind abgemeldet, der Theologe Zulehner warnt.
Wenn man wissen will, wie groß der Wahlsieg von Sebastian Kurz am 29. September wirklich ausgefallen ist und wie sehr es ihm in weiterer Folge gelungen ist, die Grünen über den Tisch zu ziehen, dann hat man es dieser Tage erfahren: Außenminister Alexander Schallenberg, parteifrei, sich selbst aber zur türkisen Bewegung zählend, hält in der „Presse“ fest, dass Österreich nicht dem Migrationspakt der Vereinten Nationen beitreten werde.
Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) lässt im „Ö1-Morgenjournal“ wiederum wissen, dass ihr wichtigstes Projekt die Ausweitung des Kopftuchverbots auf 10- bis 14-Jährige ist, und sie nützt auch gleich die Gelegenheit, zu verkünden, dass sie ein solches Verbot auch für Lehrerinnen schaffen wolle. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) beklagt sich im „ZiB2“-Interview schließlich darüber, dass Österreich mit vielen Flüchtlingen konfrontiert sei, will aber nichts von einer verpflichtenden Verteilung auf ganz Europa wissen. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban wird sich freuen, das zu hören.
Zusammengefasst: Wir haben es hier mit einer Art türkisen Allein- bzw. Minderheitsregierung mit grüner Duldung zu tun, die viel stärker und breiter als bisher die Politik von Sebastian Kurz unter die Leute bringen kann. Nicht, dass er früher allein gewesen wäre. Ex-Außen- und Integrationsministerin Karin Kneissl hat aber genauso wenig gemacht, was er wollte, wie der freiheitliche Scharfmacher Herbert Kickl als Innenminister; es hat ihm allenfalls nur gepasst.
Für Kurz ist das ein Traum: Die Grünen stehen dem Ganzen hilflos gegenüber. Natürlich: Sie können ihrer Klientel die Geschichte erzählen, wonach sie sich um den Klimaschutz kümmern dürfen; dass es besser sei, dass sie und nicht die Blauen mitregieren; und dass sie dafür halt viele schmerzliche Kompromisse eingehen mussten; insbesondere in Migrationsfragen.
Das aber kann Sebastian Kurz egal sein. Es stört ihn nicht. Ihm geht es darum, von der FPÖ zur ÖVP gewanderte Wähler zu bedienen und die Rückgewinnungsversuche dieser Leute durch die Freiheitlichen zu sabotieren, wie der 80-jährige Pastoraltheologe Paul Zulehner in einem Kommentar zum Kopftuchverbot schreibt.
Diesen Kommentar sollte man übrigens lesen, weil er zeigt, dass diese parteitaktischen Überlegungen gesamtgesellschaftliche Folgen haben können: „Es werden in unseren Tagen mit einer unglaublich unfundierten Selbstgewissheit Werte beschädigt, die in unserem Land lange als hohes Gut galten: Religionsfreiheit, Elternverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder, Dialog, Respekt, Toleranz. Im Namen der geduldigen Wertesicherung wird in atemloser gesetzgeberischer Hektik Werteaufweichung von oben betrieben.“
Das Kopftuchverbot selbst ist Zulehners Überzeugung zufolge „ein Bärendienst an wirklicher kultureller Integration. Die Wertschätzung der Demokratie als friedliches und gerechtes politisches System wird bei den Muslimen geschwächt. (…) Die derzeitige Politik gegen den „politischen Islam“, „gegen das Kopftuch“, „gegen…“ ist eine einzige desintegrierende Botschaft an die muslimische Kommunität: „Wir wollen Euch nicht im Land!“ Es ist Demütigung, wie sie auch Donald Trump erfolgreich gegen die arabischen Länder durchführt.“
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