Verrohung

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ANALYSE. „Müssen“ hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, schaufeln sich Linke durch Willkommenskultur ihr eigenes Grab? Diejenigen, die die Radikalisierung der Politik vorantreiben, verlieren die Kontrolle über sich selbst.

Ein Blick auf die UNHCR-Datenseite zu Fluchtbewegungen im Mittelmeerraum zeigt: Es kommen sehr viele, aber nicht mehr Menschen auf dem See- oder Landweg nach Europa als im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Es handelt es sich weiterhin um einen Bruchteil der Zahl, um die es sich 2015 gehandelt hat. In Relation zu den Ankünften ist jedoch die Opferzahl extrem hoch: Bei einer Million hatte es vor acht Jahren 3771 Tote und Vermisste gegeben. Heuer waren es bis 11. Juni bei knapp 73.000 Ankünften 1037 Tote und Vermisste. Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, hat sich von 0,4 auf 1,4 Prozent verdreieinhalbfacht. Oder: Es machen sich weniger auf den Weg nach Europa, die, die es tun, zahlen dabei jedoch viel eher mit ihrem Leben.

In der österreichischen Wahrnehmung schaut das alles ganz anders aus. Genauer: In der politischen Darstellung. Mit seinem Ruf nach einer „Festung“ betreibt FPÖ-Chef Herbert Kickl gezielte Panikmach, Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) assistiert unfreiwillig, indem er täglich betont, dass alle Systeme (Schengen, EU) kaputt seien und der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler ringt noch um ein Konzept dagegen.

Vergangene Woche hat er, wie sehr viele Menschen, auf Twitter betroffen auf den Tod von mehr als 500 überwiegend Frauen und Kindern infolge eines Schiffsuntergangs vor der Küste Griechenlands reagiert. „Und was ist die marxistische Lösung?“, antwortete Daniel Kapp, ein PR-Berater aus dem Türkisen-Fansektor: „Ein Twitter-Posting? Oder doch alle und noch mehr nach Traiskirchen? Sag’s uns, Herr Bürgermeister!“

Es war Ausdruck eine Verrohung: Der österreichische Zugang ist eben durch Hysterie und Panikmache gekennzeichnet. Und zwar absolut gezielter: Die Leute sollen glauben, dass das Abendland vor dem Untergang steht aufgrund einer Massenmigration und dass es bei der Verhinderung nicht ohne „hässliche Bilder“ gehen werde, wie Sebastian Kurz einmal gesagt hat. Ein solches ist nun dieses Drama.

Die Alternative wären angeblich offene Grenzen in Verbindung mit einer Art „Alle-dürfen-Asyl-haben-Willkommenskultur“. Was natürlich Unsinn ist. Eine Alternative war infolge der Flüchtlingskrise 2015 das Abkommen mit der Türkei, das im Unterschied zur vermeintlichen „Schließung der Balkanroute“ wirklich etwas gebracht hat. Aber das wollte man hierzulande nicht eingestehen, weil es ja bedeutet hätte, Angela Merkel, auf deren Betreiben das geschah, würdigen zu müssen. Und Merkel war für Blaue wie Türkise unsägliche Vertreterin einer „Willkommenskultur“. Von ihr durfte demnach nichts Brauchbares kommen.

Wer ein Problem lösen möchte, macht nicht Stimmung zur Vergrößerung des Problems. In Österreich wir von maßgeblichen Teilen der Politik Stimmung zur Vergrößerung des Problems gemacht. Damit ist vieles erklärt.

Für die Verrohung stehen nicht nur Daniel Kapp oder Sebastian Kurz oder Herbert Kickl, sondern auch dessen Parteifreund, der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp, der sich auf Twitter bemerkenswerterweise schlicht als „Stadtrat der Bundeshauptstadt Wien“ bezeichnet. Dabei ist er nicht einmal ein amtsführender Stadtrat, sondern ein nicht amtsführender, der ausschließlich dafür besser bezahlt wird, diese Funktion ohne Aufgabe und Verantwortung zu bekleiden.

Doch zurück zum Punkt: „Die linken Gutmenschen schaufeln sich ihr eigenes Grab“, twitterte Nepp, nachdem bekannt geworden war, dass Sicherheitskräfte einen möglicherweise geplanten islamistischen Anschlag auf die Regenbogenparate in der Stadt verhindert haben.

Die Botschaft von Nepp kann nur so verstanden werden: „Linke“ haben Muslime ins Land kommen lassen – und jetzt werden sie zum Ziel von Anschlägen. Selber schuld. Das Ziel von Nepp? Wie Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer, der hier einen Ausdruck sozialdemokratischen Integrationsversagens sieht (obwohl sämtliche Integrationsminister:innen bisher türkis waren), betreibt er Stimmungsmache gegen Muslime. Mit dem Ziel einer Nulllösung. Also einer Festung Österreich.

Das Ganze ist durchschaubar, zumal es nebenbei so vieles andere ausblendet. Innenminister Karner präsentierte unlängst einen Verfassungsschutzbericht mit der Botschaft, von wem eine Bedrohung ausgehe: Staatsverweigerern, Rechtsextremen, Neuen Rechten (wie Identitären) und Islamisten. Das war auch insofern glaubwürdig, als diesem Bericht spät, aber doch zu entnehmen war, dass auf das Volksstimmefest der KPÖ vor zwei Jahren ein Anschlag geplant gewesen sei. Und zwar von Rechtsextremen. Öffentlich gemacht worden war das damals nicht. Es gab keine Pressekonferenz und auch keine -aussendung – es passte offenbar nicht zur politischen Erzählung.

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