ANALYSE. Nehammer hat mit Babler nicht nur einen Sondierungsauftrag zu erfüllen. Van der Bellen verlangt mehr. Und überhaupt: Angebracht wäre ein Abschluss vor der steirischen Wahl.
Die schnellste Regierungsbildung kann es schon nicht mehr geben. Die rot-blaue Koalition unter Fred Sinowatz (SPÖ) war im Frühjahr 1983 nach gerade einmal sechs Tagen fixiert; genauer, sechs Tage nachdem der damalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger den Auftrag erteilt hatte.
ÖVP-Obmann Karl Nehammer hat den Auftrag von Alexander Van der Bellen am 22. Oktober bekommen. Seither sind schon mehr als sechs Tage vergangen. Und es wird noch nicht einmal verhandelt. Nehammer möchte zunächst einmal sondieren mit den Sozialdemokraten. Das könnte, ja sollte er sich sparen.
Schon klar: Politik ist Inszenierung. Es gibt jedoch keinen Grund für den geschäftsführenden Kanzler, sich Zeit zu lassen. Im Gegenteil. Dass er die Öffentlichkeit im Allgemeinen und ÖVP-Anhänger im Besondern nicht von heute auf morgen mit dem Gedanken anfreunden kann, dass Andreas Babler, den sie gerne als Marxisten dargestellt haben, nicht mehr Gegner, sondern Partner ist, mag sein.
Wichtiger ist jedoch dies: Nehammer und Babler sind sich einig, dass es kein „Weiter wie bisher“ geben kann. Sie wissen, dass sie FPÖ-Chef Herbert Kickl etwas entgegensetzen müssen, was zumindest 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler sagen lässt, es sei gut oder wenigstens okay.
Wochenlang sondieren und dann irgendwann verhandeln wäre vor diesem Hintergrund nicht nur überflüssig, sondern obendrein kontraproduktiv. Es würde den Eindruck bestätigen, dass die Differenzen furchtbar groß sind. Dass es sich um eine schwere Geburt handle. Genau das würde Herbert Kickl und den übrigen Freiheitlichen gefallen – im Hinblick auf die Landtagswahl Ende November in der Steiermark und im Jänner im Burgenland.
Sondierungsgespräche sind eine Erfindung von Thomas Klestil. Sie war den Umständen geschuldet: Nachdem die ÖVP 1999 Dritte geworden war und erklärt hatte, als solche in Opposition zu gehen, sah er die Notwendigkeit, ihr durch Sondierungsgespräche eine Brücke zu bauen; ihr zu helfen, sich nicht gleich auf Verhandlungen mit der SPÖ einlassen zu müssen. Gebracht hatte es nichts, es kam keine „Große Koalition“ mehr zustande, sondern erstmals Schwarz-Blau, Vergleichbares ist heute aber sowieso nicht nötig.
Es ist eher so, dass ÖVP und SPÖ miteinander müssen. Sonst kann sich Karl Nehammer aus der Politik verabschieden und die Sozialdemokratie wohl für lange Zeit in Opposition bleiben; sonst wird eine „Volkskanzlerschaft“ ermöglicht, mit einer Volkspartei in einer denkbar schwachen Position als Steigbügelhalterin.
Umso mehr könnten, ja müssten sich Nehammer und Babler umgehend in „Open end“-Verhandlungen stürzen. Die viereinhalb Wochen seit der Nationalratswahl werden sie ja wohl schon genützt haben, zu klären, was vorab zu klären ist. Zum Beispiel: Nach welchem Modell eine Zusammenarbeit inklusive Neos funktionieren könnte. Welche zwei, drei Projekte ins Zentrum gerückt werden könnten. Und so weiter und so fort.
Legen sie es klug an, haben sie spätestens eine Woche vor der steirischen Landtagswahl alles unter Dach und Fach. Damit könnten sie eher nur positiv überraschen. Was den Leuten wichtig ist, also Asyl und Teuerung, ist ohnehin kein so großes Thema mehr. In beiden Fällen haben sich die Zahlen und Werte wieder normalisiert. Was heikel ist, lässt sich im Übrigen so lösen, dass es nicht gleich zu Protesten kommt: Gerade weil sich Österreich gerade in einer Rezession befindet, muss noch nicht gleich ein Sparpaket vorgelegt und umgesetzt werden. Muss keine Mineralölsteuererhöhung angekündigt werden. Wäre es schon viel, unter anderem durch eine vielversprechende Persönlichkeit als Finanzministerin oder Finanzminister zu signalisieren, wie ernst man Haushaltsfragen nimmt.
PS: Van der Bellen hat Karl Nehammer am 22. Oktober abgesehen von alledem nicht mit Sondierungen beauftrag. Er hat vielmehr wörtlich gesagt, er habe Nehammer „gebeten, umgehend Verhandlungen mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs aufzunehmen“. Umgehend Verhandlugen.