ANALYSE. Türkise zögern nicht, über den grünen Gesundheitsminister Ablenkung zu betreiben und Rache zu üben. Koste es, was es wolle.
Vieles, was Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) tut, kann man genauso wenig verstehen wie vieles, was er unterlässt: Wie kommt er dazu, mitten in der vierten Welle, da Betroffene über Zumutbares hinausgehen, zwischen Tür und Angel eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal anzukündigen? Warum stellt er vor Inkrafttreten eines Lockdowns für Ungeimpfte auch schon weitere Verschärfungen in Aussicht? Warum tut er das nicht gleich, wenn er offenbar ahnt, dass Maßnahmen unzureichend sind? Warum hat er nicht schon im Sommer, als der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) keine Lust mehr hatte, eine Impfkampagne zu betreiben, Druck gemacht? Warum ist er in den vergangenen Wochen nicht – öffentlich wahrnehmbar – hartnäckiger mit Hinweisen darauf gewesen, was kommen könnte? Eine Antwort lautet folgendermaßen: Weil der 47-Jährige kein Politiker ist, zu einem Politiker aber Massenkommunikation gehört, um mit ihrer Hilfe so sehr Stimmung für gewisse Dinge zu machen, dass sie (schier) alternativlos erscheinen.
Das macht nicht weniger übel, worauf Türkise hinauswollen, sollte jedoch gesehen werden. Mückstein entwickelt sich zu ihrem nächsten Opfer nach dessen Vorgänger Rudolf Anschober (Grüne). Auch dieser hatte sich dazu machen lassen.
Problem eins: Sebastian Kurz, der nach Ansicht zahlreicher und vor allem auch namhafter ÖVP-Leute irgendwann wieder Kanzler werden soll (und das selbst betreibt), hat seit bald einem Jahr genug von der Pandemie. Genauer: Weil (wohl) eine Mehrheit endlich eine „Rückkehr zur Normalität“ möchte, bedient er diese Sehnsucht. Kanzler-Statthalter Alexander Schallenberg (ÖVP) hilft gerne.
Problem zwei: Die Pandemie ist nicht vorbei, also braucht es Schuldige. Ungeimpfte im Allgemeinen und der Gesundheitsminister im Besonderen. Umso mehr, als es gilt, von eigenem Versagen abzulenken und damit auch Teile der eigenen Klientel (Touristiker etc.) zu besänftigen. ÖVP-Beiträge zur Krise sind unübersehbar: Man hat zu früh zu allgemeiner Sorglosigkeit ermuntert, nie eine ernsthafte, zielgruppenorientierte Impfkampagne mitgetragen, in der Regel zu spät reagiert. In Oberösterreich oder in Salzburg. Oder jüngst auch in Vorarlberg, wo man sich wundert, dass es jetzt Schwierigkeiten bei PCR-Tests gibt, nachdem man sie bisher – im Unterschied zu Wien – nicht schon frühzeitig flächendeckend ausgerollt und damit gewissermaßen erprobt hat. Zur Drittimpfung wird aufgerufen, in Dornbirn, der größten Stadt des Landes, war ein Termin für eine über 80-Jährige vergangene Woche aber erst Anfang Dezember verfügbar.
Problem drei: Schwarz-Türkise machen es dem (jeweiligen) Gesundheitsminister schon auch schwer, weil sie ihre Coronastrategie nicht offenlegen. Man könnte meinen, am wichtigsten sei es ihnen, eine Wintersaison zu ermöglichen; jedenfalls wichtiger noch als die Aufrechterhaltung des Schulunterrichts (in Präsenz), geschweige denn würdige Verhältnisse in den Spitälern. Man kann sich wundern, dass sie – wenn schon, denn schon – keiner Durchseuchung das Wort reden. Immerhin hat Sebastian Kurz eine solche Stoßrichtung durchblicken lassen, als er meinte, Corona werde ein individuelles Problem. Ganz brutal formuliert heißt das, dass Leid und Sterben (meist Ungeimpfter) zumindest die Politik nichts mehr angehen sollen. Aussagen der Landeshauptleute Wilfried Haslauer (Salzburg) und Thomas Stelzer (OÖ) gingen vergangene Woche in diese Richtung. Wie Schallenberg vermitteln sie den Eindruck, dass das Leben für Geimpfte weitergehen müsse als würde nix passieren.
Zu alledem kommt noch eine ganz andere Geschichte dazu: Die Ablöse von Sebastian Kurz als Regierungschef aufgrund der Korruptions- und Chataffären will gerächt werden. Alles wird mobilisiert, selbst „Kaufhaus Österreich“-Macherin Margarete Schramböck (ÖVP) wird ausgeschickt, den grünen Gesundheitsminister als Versager darzustellen, der etwa bei der Corona-Medikamenten-Beschaffung säumig sei.
Ein Rücktritt von Mückstein lässt sich erzwingen. Ohne Unterstützung der größeren Regierungspartei ist er machtlos, wenn er sie zur Gegnerin hat, kann er überhaupt einpacken. Es ist ihm dann unmöglich, seiner Verantwortung als Gesundheitsminister nachzukommen. Letztlich würde es sich um eine Rechnung handeln, die die Grünen dafür bezahlen müssen, das „Zurseitetreten“ von Sebastian Kurz erzwungen zu haben.
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