ANALYSE. ÖVP und SPÖ haben sich auf eine Regierungszusammenarbeit verständigt, ohne ein Signal der Erneuerung zu setzen.
War was? Hat die Tiroler Volkspartei bei der Landtagswahl Ende September nicht gut zehn Prozentpunkte verloren und die SPÖ kaum zugelegt? Steht die österreichische Politik nicht gerade im Zeichen von Korruptionsaffären sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene? Möchte die SPÖ nicht eine politische Wende erreichen? Natürlich ist all das der Fall.
In Tirol wechselt die ÖVP unter dem künftigen Landeshauptmann Anton Mattle jedoch den Koalitionspartner und versucht weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Die SPÖ bietet sich mit Georg Dornauer an der Spitze wiederum gerne als Juniorpartnerin an.
Dornauer kann zufrieden sein, dass seine Partei gemeinsam mit ihm gleich drei Mitglieder der Landesregierung stellen wird. Und dass er dafür mit der bisherigen Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, Eva Pawlata, für Soziales, sowie dem bisherigen ÖBB-Regionalvertreter Renè Zumtobel für Verkehr immerhin zwei Quereinsteiger gefunden hat, die fachliche Kompetenz einbringen könnten, wenn sie dürfen und sie sich auf dem politischen Parkett zurechtfinden.
Anton Mattle hatte auf der anderen Seite aber keinen Genierer, mit Astrid Mair ausgerechnet die Lebensgefährtin des künftigen Landespolizeidirektors Helmut Tomac zur Sicherheitslandesrätin zu machen. Das ist schon ein sehr persönliches Beziehungsgeflecht, das amtlich nur schwer vereinbar ist.
Das Regierungsprogramm enthält wenige Akzente. Ein Beispiel dafür ist, dass man sich bei den Richtsätzen für die Mindestsicherung nicht mit einer jährlichen Anpassung (Indexierung) begnügen möchte, wie sie auf Bundesebene für Sozialleistungen gerade erst beschlossen worden ist. Vorgesehen ist vielmehr auch „die Möglichkeit, diese unterjährig krisen- und situationsbedingt anzupassen“.
Bei vielem anderem bleibt man vage bis unverbindlich. Hatte die ÖVP mit den Grünen vor vier Jahren etwa noch eine Modellregion zur Gemeinsamen Schule ins Auge gefasst, so ist das, was Schwarz-Rot soeben vereinbart hat, eher ein Rückschritt. Zitat: „Zum Thema der gemeinsamen Schule eine Arbeitsgruppe einrichten, die mit Bildungsdirektion, Expert:innen, Vertretungen von Erhalter:innen, Eltern, Schüler:innen, Schulen etc. neue Schul-, Unterrichts- bzw. Lehrformen konstruktiv, wertschätzend, zeitnah und zukunftsorientiert erarbeitet.“
Zur Kinderbetreuung wird zwar die Einführung eines Rechtsanspruches „zunächst“ ab dem 2. Lebensjahr „angestrebt“, für wann man sich das vornimmt, steht aber nicht im Regierungsprogramm. Zum Thema Wohnen, das in Tirol besonders dringlich ist, will man zunächst überhaupt einmal „eine bedarfsorientierte Studie für den Wohnbedarf“ (sic!) erstellen lassen, um schließlich Maßnahmen ableiten zu können.
Interessant ist, was ÖVP und SPÖ offenbar nicht vorhaben: eine neue Politik als Antwort auf die Krise des Politischen. Das Demokratie-Kapitel ist kurz, Bestehendes, wie Bürger:innenräte, soll „weiter forciert“ werden. Sprich: Es soll sich nichts ändern. Vertrauensbildendes fehlt. Nicht einmal der Abschaffung des Amtsgeheimnisses bzw. der Einführung von Informationsfreiheit wird das Wort geredet. Dabei hätte das gerade auch vor dem Hintergrund all der Korruptionsaffären, die dieser Tage wieder aufgepoppt sind, ein sehr starkes Signal sein können, zumal es vom Bund immer wieder heißt, die Sache werde von Ländern und Gemeinden blockiert.
Auch der Stil, mit dem ÖVP und SPÖ zusammenarbeiten, wirkt alt: Viel ist von Vertrauen die Rede, man kontrolliert sich jedoch gegenseitig, wie es in Österreich in Koalitionen halt so üblich ist. Und zwar nicht nur in der Landesregierung, sondern auch im Landtag, was naturgemäß auf Kosten des freien Mandats von schwarzen und roten Abgeordneten geht: „Es wird ausdrücklich festgelegt, dass es keinen koalitionsfreien Raum gibt“, heißt es im Regierungsprogramm. Anträge gibt’s nur gemeinsam, kommen sie von der Opposition, wird entweder geschlossen zu- oder ebenso dagegen gestimmt. Gerade auch, wenn es um Untersuchungsausschüsse geht.
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