ANALYSE. Sowohl die ÖVP als auch die SPÖ könnten vom Bundespräsidenten lernen, wie man eine Mehrheit gewinnt, die alles andere als selbstverständlich ist.
Der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik sieht in Österreich eine strukturelle Mehrheit rechts der Mitte und meint, dass die ÖVP daher mit ebensolcher Politik 2017 erfolgreich sein konnte; und dass eine Koalition mit Neos und Grünen zumindest in der öffentlichen Kommunikation tabu sein muss für die Sozialdemokratie: „Wer mit ein bisschen Hirn nachdenkt, darf das Ziel der Ampel nicht offen aussprechen. Die SPÖ müsste im Wahlkampf etwas anderes signalisieren, als sie in Wahrheit anstrebt“, sagte Ennser-Jedenastik zum „Standard“.
Natürlich: Eine ÖVP, die versucht, sich in einer gewissen Mitte zu positionieren, ist schon lange nicht mehr erfolgreich gewesen. Und die SPÖ verliert schon sehr lange Wählerinnen und Wähler an die FPÖ, unter anderem wohl, weil sie ihnen zu bestimmten Fragen nicht rechts genug ist. Von daher wäre die Volkspartei dumm, sich nicht um die Rechte zu bemühen – sowie die Sozialdemokratie nachgerade verrückt, eine Ampel und damit eine Mitte-Links-Koalition in Aussicht zu stellen (wobei die Mitte wohl durch die Neos abgedeckt werden würde).
All das ist jedoch zu billig. Frei nach diesen „Gesetzen“ wäre Bruno Kreisky kaum Bundeskanzler und – mehr noch – Alexander Van der Bellen nie Bundespräsident geworden. Kreisky ist das mit der Mehrheit rechts der Mitte auch bewusst gewesen. Genau deshalb hat er sich jedoch um Teile davon bemüht, indem er Kritiker einlud, ein Stück des Weges mitzugehen und indem er auf die katholische Kirche zuging. Das waren Signale an Konservative.
Van der Bellen war 2016 als Präsidentschaftskandidat zunächst chancenlos von der Papierform her. Er als ehemaliger Grünen-Chef! Wie nun auch im jüngsten Wahlkampf hat er, der von nicht wenigen als Linker bezeichnet wird, jedoch eine breite Mitte umworben. Durch die Hervorkehrung seines ländlichen Kaunertal-Bezugs und mehr noch durch die Besetzung eines ungewohnten Heimatbegriffes, der vereinfacht ausgedrückt sowohl für Verwurzelung als auch für Weltoffenheit steht.
Das waren subtile Botschaften, die ganz offensichtlich ankamen – und die der ÖVP genauso ein Vorbild sein könnten wie der SPÖ: Man muss nicht dumpfe Rechte kopieren, um bei einer strukturellen Mehrheit rechts der Mitte bei Wahlen erfolgreich sein zu können. Man kann auch mit neuen Framings sehr erfolgreich sein.
Gerade bei all den multiplen Krisen würden sich große Chancen dafür anbieten: Es gibt nicht nur das Migrationsthema, das eher Rechten in die Hände spielt. Es gibt soziale Herausforderungen, bei denen Sozialdemokraten punkten könn(t)en oder wirtschaftliche, bei denen es der ÖVP gelingen könnte, sofern sie im Korruptionssumpf nicht untergeht.