ANALYSE. „Ibiza“ ist vergessen: Freiheitliche gewähren ihrem Ex-Chef die große Bühne und politische Mitbewerber schauen lieber weg.
Die Geschichte ist wohl bezeichnend für den „österreichischen“ Umgang mit politischer Verantwortung: Zunächst gibt man sich empört, allmählich beruhigt man sich jedoch und schließlich vergisst man ganz, was war. Gut, Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat auf einer Pressekonferenz wieder einmal daran erinnert, was Ex-Vizekanzler und -FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf Ibiza gesagt hat. Und natürlich: Zurücktreten hatte Strache ja auch müssen. Aber sonst?
Das Naheliegende, ja das Selbstverständliche bleibt aus: Strache darf sich weiterhin politisch engagieren. Seine Partei hat ihn nicht ausgeschlossen, sondern lässt ihn gewähren. Und politische Mitbewerber schauen weg. Warum? Das wird weiter unten auszuführen sein.
Wer wissen will, was Heinz-Christian Strache so treibt, erfährt es in den sozialen Medien: Seine 61.000 Follower auf Twitter lässt er unter „@HCStracheFP“ (!) wissen, dass „anerkannte Asylanten in ihre ursprünglichen Fluchtländer auf Urlaub“ fliegen würden; und dass der Begriff „Asyltourismus“ damit „eine traurige Bestätigung“ erfahre. Auf Facebook, wo Strache gut 400.000 Fans hat, teilte er vor wenigen Stunden wiederum mit, dass „wir“ keine illegale Migration wollen. Was heißt „wir“? Das geht aus dem Link hervor: Die FPÖ, die „soziale Heimatpartei“.
Wirklich stören kann das die Partei nicht. Sonst würde sie das unterbinden. Warum ist das politischen Mitbewerbern der FPÖ vollkommen egal? Warum ist es eigentlich schon absehbar, dass Strache bald wieder eine offizielle Funktion übernehmen könnte (z.B. die des FPÖ-Spitzenkandidaten bei der Wiener Gemeinderatswahl 2020)?
Ob es ÖVP und SPÖ wirklich egal ist, ist schwer zu sagen. Es ist eher so, dass sie sich lieber nicht mit Strache anlegen. Bei der EU-Wahl hat man gesehen, dass er in freiheitlichen Kreisen noch immer hoch im Kurs ist. Also gibt es zwei Motive, sich zurückzuhalten: Man will FPÖ-Wähler, die man möglicherweise gewinnen könnte, nicht unnötig provozieren. Und außerdem: Man möchte sich die Freiheitlichen für eine zukünftige Zusammenarbeit warm halten. Ersteres trifft sowohl auf die ÖVP als auch auf die SPÖ zu, letzteres wohl nur auf die ÖVP. Sie sagt ja ganz offen, dass – ohne einen Innenminister Herbert Kickl, aber doch – eine Fortsetzung der schwarz/türkis-blauen Koalition nach der Wahl denkbar ist.
All das passt ganz gut in eine Geschichte, die die freiheitliche Historikerkommission Anfang August wohl genüsslich verbreiten wird: Ohne die beiden ehemaligen Großparteien wäre die FPÖ nicht geworden, was sie geworden ist. In einer lesenswerten Diplomarbeit dazu werden Sozialdemokraten gar als „entscheidende Geburtshelfer“ der FPÖ bezeichnet. Damit verbunden sei folgende Überlegung gewesen: „Eine zweite Partei rechts der Mitte würde die Spitzenposition der ÖVP in Gefahr bringen können.“
Die ÖVP wiederum ist insofern weiterhin an der FPÖ interessiert, als sie ihr eine Alternative zu einer Großen Koalition bietet, die allemal billiger ist als Schwarz-Grün oder Schwarz-Pink: 2000 bis 2006 und zuletzt von 2017 bis 2019 haben die Freiheitlichen gezeigt, dass es ihnen nicht so sehr um große Strukturreformen geht, als vielmehr um gewisse (durchaus bösartige) Akzente und mehr noch Macht. Und die kann sie haben.