ANALYSE. Die Sozialdemokratie bleibt vorerst nur Umfragesiegerin. Neuwahlen wird’s wohl erst in fast drei Jahren geben. Das zwingt Rendi-Wagner und GenossInnen zu einer Strategieänderung.
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ahnt es wohl: ÖVP und Grüne sind so sehr aufeinander angewiesen, dass die Koalition, die sie auf Bundesebene bilden, bis zum Ende der Legislaturperiode halten könnte. Bis 2024, um genauer zu sein. Vizekanzler Werner Kogler weiß mit seinen Freundinnen und Freunden, dass ihre Regierungsbeteiligung nur so fix erhalten bleibt. Karl Nehammer, der neue Kanzler und designierte ÖVP-Chef, sieht mit seinen Landeshauptleuten noch Schwerwiegenderes: In ihrem Fall geht es nicht nur um den Machterhalt, sondern auch darum, dass ein Urnengang in absehbarer Zeit mit erheblichen Verlusten verbunden wäre.
SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner ließ das unberührt, als sie Nehammer vergangene Woche gewissermaßen mit den Worten begrüßte, dass er die vierte Corona-Welle bewältigen und dann Neuwahlen weichen möge – „damit die Österreicher und Österreicherinnen selbst über die Zukunft des Landes entschieden dürfen“.
Diese Forderung wird nicht in Erfüllung gehen. Die Sozialdemokratie wird auf absehbare Zeit eher nur Umfragesiegerin bleiben. Und nicht mit mehr rechnen können. Nehammer ist so viel Profi, dass er sich mit Schwarzen, die eine vorübergehende Renaissance feiern, genauso arrangieren kann wie mit ´Türkisen, die übriggeblieben sind. Dass er vorerst gerade auch in Bezug auf die Pandemie im Allgemeinen und Impfen im Besonderen zurückhaltender agiert als Sebastian Kurz. Als ehemaliger Innenminister und Generalsekretär hat er bewiesen, dass er schon auch anders kann, wenn er findet, dass es passt für die Partei. Wie gesagt: Er ist Profi, der unterschiedliche Rollen durchaus glaubwürdig verkörpern kann.
Für die SPÖ wird das schwierig: Rendi-Wagner folgt ganz offensichtlich der Regel, dass eher bestehende Regierungen ab- als neue gewählt werden. Neue ergeben sich demnach meist nur durch ersteres. Also heißt es für sie, abzuwarten und selbst nicht weiter aufzufallen. In den vergangenen Wochen hat sie sich denn auch als Gesundheitsexpertin zurückgenommen, die immer wieder lautstark noch strengere Maßnahmen fordert. Das mag sie in der Vergangenheit aus Überzeugung getan haben, hat ihr jedoch kaum etwas gebracht: Lockdowns sind unpopulär; und Forderungen, die von ihr kamen, wurden von der Regierung aus Prinzip ignoriert.
In diesem Herbst galt die sozialdemokratische Aufmerksamkeit einem Zeitfenster, in dem der Fall von Türkis/Schwarz-Grün nahe schien. Dafür wollte man einfach nur bereitstehen. Umfragen zeigten ohnehin, dass man Nummer eins werden könnte.
Jetzt schließt sich das Zeitfenster wieder. Das zwingt Rendi-Wagner zu einer Strategieänderung. Ihre Perspektiven werden mehr und mehr abhängig davon, wie sich Nehammer schlägt. Sie kann entweder zuschauen (knapp) drei Jahre bis zu einem wahrscheinlichen Wahltermin; oder zu einer Oppositionsarbeit übergehen, die dem Kanzler zu schaffen macht.
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