ANALYSE. Der neue Kanzler und Parteivorsitzende muss sich von Gewerkschaftern, die ihm mit zur Macht verholfen haben, emanzipieren – und auf der anderen Seite hoffen, dass Mitterlehner seine Kooperationsbereitschaft in den eigenen Reihen durchsetzen kann.
Der Befreiungsschlag hatte dem damaligen SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer vor zehn Jahren zum Wahlsieg und damit auch zur Kanzlerschaft wenig später verholfen: Die BAWAG-Affäre drohte nicht nur die Gewerkschaft, sondern die gesamte Sozialdemokratie nachhaltig zu beschädigen. Gusenbauers Antwort: Zunächst verlangte er von den Gewerkschaftern, sich von ihrer Bank zu trennen und dann verbannte er ihre Spitzenvertreter auch noch aus dem Parlament.
Der (bestimmende) Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf die SPÖ schien damit gebrochen. Doch unter Gusenbauers Nachfolger Werner Faymann wurde er in kurzer Zeit wieder hergestellt. Zwei Ereignisse der jüngeren Vergangenheit zeigen dies: Die Steuerreform machte Faymann vor allem für die Gewerkschafter, was ihm diese mit einer eigenen Kampagne dankten. Und auch die Regierungsumbildung im Jänner durften wieder maßgeblich sie bestimmen.
Wie der neue Kanzler und SPÖ-Vorsitzende Christian Kern mit den Gewerkschaftern umgehen wird, ist naturgemäß offen. Auffallend ist jedoch, wie sehr er ihnen den Sprung an die Spitze zu verdanken hat: Maßgeblich zum Sturz von Faymann und seiner Nominierung zum Nachfolger haben Leute wie Josef Muchitsch (Bau-Holz-Gewerkschaft) und zuletzt auch Erich Foglar (ÖGB-Präsident) beigetragen. Kern ist ihnen damit naturgemäß etwas schuldig – womit es für ihn nicht einfach werden wird, eine vernünftigen Umgang zu finden.
So lange die ÖVP-internen Machtverhältnisse nicht geklärt sind, wandelt Christian Kern auf einem Vulkan – der jederzeit hochgehen könnte.
Das soll jedoch nicht das einzige Problem auf dem Weg zu einer erfolgreichen Kanzlerschaft sein. Viel schwerwiegender noch ist das Verhalten der ÖVP. Und das muss Kern größte Sorgen bereiten: Erfolgreich sein kann er nur, wenn der Koalitionspartner mitspielt. Vizekanzler und Bundesobmann Reinhold Mitterlehner hat zwar signalisiert, dass er dazu bereit ist. Klubobmann Reinhold Lopatka akzeptiert das aber nicht – und nimmt Kern schon von allem Anfang an in die Kritik.
Sprich: So lange die ÖVP-internen Machtverhältnisse nicht geklärt sind, wandelt Christian Kern auf einem Vulkan – der jederzeit hochgehen könnte.