Schwarze, die Kurz tun ließen

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ANALYSE. Johanna Mikl-Leitner und Co. haben Sebastian Kurz vor vier Jahren einen Blankoscheck ausgestellt. Jetzt schaffen sie es nicht, durchzugreifen. Über ihre Verantwortung ist zu reden.

Es ist ja alles nachvollziehbar. Zum Beispiel, dass die Vorstandsmitglieder der neuen Volkspartei, im Wesentlichen also die fünf Landeshauptmänner und die eine Landeshauptfrau, Sebastian Kurz schwer von heute auf morgen in die Wüste schicken können. Quasi gestern erst haben sie dazu beigetragen, dass er mit 99,4 Prozent als Bundesparteiobmann im Amt bestätigt wurde; Ende August war das. Vergangenen Donnerstag noch teilten sie in einer gemeinsamen Aussendung unter Führung des Tirolers Günther Platter mit, dass sie „geschlossen“ hinter ihm stehen würden und er weiterhin ihre „volle Unterstützung“ genieße.

Unter diesen Umständen ist es wirklich viel verlangt von ihnen, heute das glatte Gegenteil zu praktizieren. Es wäre auch ein umfassendes Eingeständnis ihrerseits.

Die mächtigste aller Landesobleute, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), hat in einer Videobotschaft erklärt, es sei gut, dass die Arbeit auf Bundesebene weitergehen könne. Und es sei „gut, dass Sebastian Kurz das mit seinem Schritt zur Seite ermöglicht hat“. Soll zwischen den Zeilen wohl heißen, dass man ihm auch noch dankbar sein soll dafür. Erst im Folgesatz betonte Mikl-Leitner, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden müssten: „Die Chats zeichnen ein Bild, das wir so nicht stehen lassen können und wollen.“ Das lässt zumindest erwarten, dass Kurz parteiintern weiteren (politische) Konsequenzen zu befürchten hat.

Wie erwähnt: Es ist alles nachvollziehbar. Dass der 35-Jährige aufgrund der Vorgeschichte nicht auf der Stelle hinausgeschmissen, sondern Schritt für Schritt zur Tür gebracht wird.

Aber: Die Landeshauptleute tragen schon auch Verantwortung dafür, was Sebastian Kurz anrichten konnte. Es ist zu viel. Auch ohne strafrechtlich relevante Teile: Die Inseratengeschäfte sind offenkundig. Die Verhinderung von Nachmittagsbetreuung an Schulen ist dokumentiert. Begriffe wie „Vollgas“ für einen kirchlichen Würdenträger oder „Arsch“ für Reinhold Mitterlehner sind es ebenfalls: Sie haben vielleicht weniger große Schäden angerichtet, lassen jedoch tiefer blicken.

Von den Schäden, die für die politische Kultur entstanden sind, gar nicht zu reden: Die Geringschätzung für Parlament und Parlamentarismus konnte nicht oft genug zum Ausdruck gebracht werden. Angriffe auf die Justiz waren zahlreich. Meinungsvielfalt war nie erwünscht. Und so weiter und so fort. Statt „Sparen im System“ herrschte Bedienen am System.

Hunderttausende Menschen, die schon politikmüde gewesen waren, schöpften durch Sebastian Kurz neue Hoffnung. Sie sind jetzt noch frustrierter als vorher – und im schlimmsten Fall auch anfälliger für Politzerstörer, die nun erst recht kommen könnten.

Man kann den Landeshauptleuten den Vorwurf nicht ersparen, dass sie Sebastian Kurz 2017 eine Art Blankoscheck ausgestellt haben. Er konnte tun und lassen, was ihm gefiel. Sie waren es, die parteiinterne Demokratie durch weitreichende Befugnisse für ihn de facto entsorgt haben. Mit dem absurden Ergebnis, dass laut ÖVP-Statut Kurz als Nicht-Kanzler, aber Noch-immer-Parteiobmann die Personalhoheit für die türkise Regierungsriege hat.

Jetzt bringen es Mikl-Leitner und Co. nicht zusammen, umgehend das Notwendige zu tun. So sehr sie vor vier Jahren bereit waren, für einen ÖVP-Erfolg bei Nationalratswahlen bzw. Macht jeden Preis zu bezahlen, so wenig schaffen sie das heute, obwohl sich mehr und mehr Menschen darüber empören, dass Kurz trotz allem Parteiobmann bleiben und auch noch Klubobmann der größten Parlamentsfraktion (inkl. Ticket für die Teilnahme an Ministerratssitzungen) werden durfte.

In der „Tiroler Tageszeitung“ sagte Landeshauptmann Günther Platter: „Die Entscheidung über den Klubobmann liegt beim Parlamentsklub.“ Ausgerechnet Platter tut so, als habe er keinen Einfluss darauf nehmen können, dass Kurz zwar eine Funktion verloren, aber umgehend eine andere gewonnen hat. Das kann man nicht erfinden: Im Februar gelang es Platter, seine Abgeordneten gegen Corona-Maßnahmen zu mobilisieren. Sie gefährdeten damit die türkis-grüne Mehrheit im Nationalrat, also die Koalition in ihrer Gesamtheit.

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