Schlicht Edtstadler

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ANALYSE. Wenn sie sich schon nicht groß erneuern möchte, hätte die ÖVP gute Gründe, stärker auf die Verfassungsministerin zu setzen.

„Sagen, was ist“, heißt eine Art Kolumne von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in sozialen Medien wie X (Twitter). Einmal argumentiert sie für ein Zitierverbot aus Akten, ein anderes Mal gegen eine rückwirkende Umwandlung von flexibel in fix verzinste Kredite. In der Regel macht sie das so, dass man geneigt ist, zuzustimmen. Zum Beispiel, indem sie zu besagtem Zitierverbot erklärt, die Pressefreiheit sei nicht absolut. Stimmt. Sie tut aber so, als müsse die Freiheit eingeschränkt werden, weil sie derzeit uneingeschränkt sei. Das ist Unsinn. Der Punkt ist: Am Ende des Tages hat sie dennoch gute Chancen, eine Mehrheit auf ihrer Seite zu haben.

These: Würden nicht Karl Nehammer und auch nicht Johanna Mikl-Leitner eine sogenannte Normalitätsdebatte führen, sondern Edtstadler, es würde mehr daraus werden und Herbert Kickl (FPÖ) hätte ein weniger leichtes Spiel. Sie schafft das viel eher.

Außerdem: Aus Sicht einer ÖVP, die sich nicht groß erneuern möchte, wäre Edtstadler eine vielversprechende Parteiobfrau und Spitzenkandidatin für die kommende Nationalratswahl. Sie ist rechts genug, um Wähler anzusprechen, die nach dem Abgang von Sebastian Kurz noch nicht oder nicht fix zu den Freiheitlichen (zurück-)gewechselt sind. Und sie ist bürgerlich genug, um einen wesentlichen Teil der noch vorhandenen Stammwähler anzusprechen.

Sie ist im Übrigen für eine blau-türkise Koalition vorstellbar und für eine rot-türkise nicht ganz ausgeschlossen. Das ist ein wichtiger Punkt: Für die ÖVP sollte es immer eine Restmöglichkeit geben, nicht mit der FPÖ koalieren und nicht in Opposition gehen zu müssen. Auch wenn diese Restmöglichkeit noch so klein ist, wird sie allein dadurch verhältnismäßig stark gemacht. Kann sie zum Beispiel auch einmal als 20-Prozent-Partei darauf bestehen, den Finanzminister zu stellen.

Gerade hat Edtstadler der SPÖ ausdrücklich gedankt „für die konstruktiven Gespräche“ über die Informationsfreiheit, die nun gemeinsam mit den Grünen beschlossen werden kann. Damit sei der „moderne Staat“ da, behauptet sie. Und es wird durchgehen. Sie versteht es, das zu kommunizieren und profitiert davon, dass sich auch ein Gutteil der Medien damit zufriedengibt, dass es künftig nicht mehr Amtsgeheimnis, sondern eben Informationsfreiheit heißt.

Das ist ein Fortschritt. Entscheidend wird jedoch die Praxis. Viele Formulierungen zu Möglichkeiten und Ausnahmen sind so vage, das vieles erst ausjudiziert werden muss. Und dass es wichtig ist, dass Transparenz auch gewollt wird. Bisherige Ansätze dazu – z.B. bei den Inseraten – sind eher frustrierend: Man hat es so umgesetzt, dass Bürger:innen nichts damit anfangen können.

Schlimmer bei der Informationsfreiheit: Alle österreichischen Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern, also die meisten, müssen in Zukunft nicht proaktiv offenlegen, was von allgemeinem Interesse ist. Das war u.a. auch Edtstadler im Sinne der Bürgermeister ihrer Partei wichtig. Argumentiert worden ist das mit dem Verwaltungsaufwand. Dabei wäre es gerade bei Kleingemeinden wichtig, dass blickdichte Fenster aufgerissen werden müssen. Dass sich nicht Bürger um jedes Detail bemühen müssen. Zumal ihnen das nur begrenzt zumutbar ist: Karl Nehammer hat Bürger, die Auskünfte begehren, auf dem ÖVP-Bundesparteitag im Frühjahr 2022 ausdrücklich als „Querulanten“ bezeichnet. In Verbindung mit einem solchen Geist stelle man sich ein ÖVP-geführtes Dorf im tiefsten Niederösterreich vor, in dem ein als Grüner oder Blauer bekannter Bürger auf das Gemeindeamt kommt und etwas wissen will. Er wird sich sein zukünftiges Leben im Ort kaum erleichtern.

Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass Edtstadler auch in Bezug auf die Notwendigkeit für die Volkspartei das Wort geführt hat, dass mobile Datenträger (Handy etc.) laut Verfassungsgerichtshof künftig nur mit richterlicher Bewilligung beschlagnahmt werden dürfen. Sie kämpfe schon seit Jahren dafür, ließ sie wissen und äußerte sich entsprechend erleichtert.

Das VfGH-Erkenntnis erscheint wirklich wichtig. Hier geht es um den Schutz von Bürger:innenrechten. Das wird auch nicht dadurch relativiert, dass die ÖVP aufgrund der ganzen Chataffären, die so vielleicht nie zustande gekommen wären, ein besonderes Motiv in der Sache hat. Das Problem ist eher, dass sie insofern unglaubwürdig ist, als sie in Person von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) daneben die Ermöglichung einer Spionagesoftware namens Bundestrojaner fordert, die dazu angetan ist, Bürgerrechtler:innen auf die Barrikaden zu treiben, ja zu zwingen, so heftig wäre der Anschlag, der damit einhergehen würde.

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