Schallenberg liegt daneben

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ANALYSE. Der neue Bundeskanzler hat in seiner Antrittsrede ein verstörendes Amtsverständnis zum Ausdruck gebracht: Er sieht sich eher Kurz, als der Verfassung verpflichtet.

Leider: Zu oft herrschen in Österreich schlampige Verhältnisse. Besonders in der Politik, wenn es um Rechte und Pflichten, Machtverständnis genauso wie Verantwortungsbewusstsein geht, oder schlicht Korruption, die bis hin zu willkürlicher Inseratenvergabe auf Kosten der Steuerzahler läuft.

Mit der Verfassung nimmt man es nicht so genau und macht sich lieber eine Realverfassung. In der ÖVP beispielsweise wird – wie hier berichtet – vielen Landeshauptleuten gar nicht mehr bewusst sein, was sie ihrem Bundesobmann Sebastian Kurz einst zugestanden haben. Es ist sogar statutarisch festgehalten: Sebastian Kurz mag, nachdem sich nun auch der Tiroler Günther Platter und die Niederösterreicherin Johanna Mikl-Leitner von ihm distanziert haben, „Dead Man Walking“ sein. Er könnte sie aber noch immer alle zu sich zitieren, sie wären ausdrücklich „verpflichtet“, der Einladung „jederzeit Folge zu leisten“. Und ja: Er „trifft die entsprechenden Entscheidungen in Personalfragen“ im Zusammenhang mit der Bundesregierung. Nach diesen Buchstaben sind Neo-Kanzler Alexander Schallenberg und die türkisen Ministerinnen und Minister also Kurz‘ Marionetten. Es zeigt, wie autoritär die Volkspartei in den vergangenen Jahren geworden ist.

Hier geht es jedoch um den Bundeskanzler und zunächst die Gelöbnisformel: Wie seine Vorgänger hat Schallenberg in der Hofburg gelobt, „die Bundesverfassung und alle Gesetze der Republik Österreich getreulich zu beobachten und die mit dem Amte verbundenen Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen“. Wenig später hat er dem Geist, der hier zum Ausdruck kommt, jedoch widersprochen: Er hat ausdrücklich angekündigt, „sehr eng“ mit ÖVP-Klubobmann Sebastian Kurz, der auch Vorsitzender der Volkspartei ist, zusammenzuarbeiten: „Alles andere wäre absurd.“ Vor allem aber erklärte er: „Zudem halte ich die im Raum stehenden Vorwürfe für falsch und ich bin überzeugt davon, dass sich am Ende des Tages herausstellen wird, dass an ihnen nichts dran ist.“

Grundsätzlich ist eine sehr enge Zusammenarbeit des Kanzlers mit seinem Parteichef selbstverständlich. Er ist nur ungewohnt, dass es sich nicht um ein und dieselbe Person handelt. Der Kanzler braucht schließlich eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene. Problematischer ist der Anschein, den Schallenberg mit seinen Worten geweckt hat: Er, der als Diplomat in einer repräsentativen und als langjähriger Kurz-Mitarbeiter in einer selbstlos-loyalen Rolle war, lässt befürchten, dass er – wie schon als Außenminister – nicht die Absicht hat, aus dessen Schatten hervorzutreten. Damit mag er sich Machtverhältnissen beugen, die noch real sind. Ein Bundeskanzler als bloßer Diener, das geht jedoch gar nicht. Anders ausgedrückt: Schallenberg lässt daran zweifeln, dass er sich in erster Linie seinen Aufgaben als Regierungschef verpflichtet fühlt; man kann sogar fragen, ob er damit der Verantwortung gerecht werden kann, die mit dem Amt einhergeht. In jedem Fall hat er sich gleich einmal Vorschuss-Misstrauen erarbeitet.

Schlimmer wiegt seine Aussage, dass die Anschuldigungen gegen Sebastian Kurz, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sehr ausführlich dokumentiert hat, seines Erachtens „falsch“ seien. Das ist eine Grenzüberschreitung: Wie Kurz zeigt er damit keine Achtung gegenüber der Gewaltenteilung, als Vertreter der Exekutive keinen Respekt gegenüber der Judikative. Im Gegenteil: Er sagt offen, was er sich erwartet. Nämlich, dass es zu keiner Anklage und mehr noch – im Falle des Falles – zu keiner Verurteilung kommt.

Die Justiz muss sind nicht daran halten. Und sie wird es wohl auch nicht tun. Aber: Alexander Schallenberg hat mit seinem Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) Einfluss auf Budgetmittel und mit Kurz auf die Gesetzgebung. Hier lässt es sich wirklich systemgefährdend werden. Zum Glück stehen immerhin andere parlamentarische Mehrheiten und die grüne Justizministerin Alma Zadic dagegen.

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