Rendi-Wagner riskiert viel

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ANALYSE. Was der SPÖ-Vorsitzenden vor einer Wahl nützen könnte, könnte ihr hinterher zum Verhängnis werden: Keine oder ausschließlich konturlose Politik zu dramatischen Fragen.

Nach der ORF-Pressestunde mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner notierte Raimund Löw in einem Falter-Newsletter folgendes: Sie habe sich gegen den Vorwurf gewehrt, dass ihrer Partei zu Russlands Ukraine-Politik nichts einfalle. „Sie hat unzählige Telefonate geführt, sagt die SPÖ-Vorsitzende, sogar mit dem ukrainischen Botschafter. Aber von Solidarität mit dem ukrainischen Widerstand gegen den russischen Angriff war nichts zu hören. Putins Aggression hat die SPÖ natürlich längst verurteilt. Wer aber erwartet hat, dass die SPÖ-Vorsitzende vor dem großen TV-Publikum ihr Entsetzen über die russischen Kriegsverbrechen ausdrückt, wurde enttäuscht. Nichts darüber, ob es Rendi-Wagner eigentlich richtig findet, dass die Europäische Union den Verteidigern Waffen liefert, auch mit dem Okay Österreichs. Kein Wort über die sicherheitspolitische Umbruchsituation, die Putins Aggression für Europa geschaffen hat.“ Nichts.

Dabei ist die Parteivorsitzende auch außenpolitische Sprecherin ihrer Parlamentsfraktion. Würde es unendlich viel zu reden und zu klären geben. Unter anderem auch zur bis heute rätselhaften Moskau-Mission von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) etwa. Oder zur „aktiven Neutralitätspolitik“, die von Rendi-Wagner beschworen wird, bei der aber offen bleibt, was das heißt. Einfach nur wegducken? Offenbar.

Möglicherweise geht es genau darum: Die „Krone“, die ein Ohr beim Volk hat, hat Nehammer ziemlich heftig hergenommen wegen dessen Reisen nach Kiew und zu Wladimir Putin. Und sie hat ihn schließlich wissen lassen, dass 71 Prozent ihrer Leser diese als unvernünftig erachteten. Als Gründe genannt wurde, dass Österreich selber genug Probleme habe und sich durch derlei nur den Neutralitätsstatus vermasseln könnte.

Strategisch und im Hinblick auf eine Neuwahl irgendwann ist nachvollziehbar, was Rendi-Wagner treibt: Nicht auffallen, lautet ihr Motto. Kalkül: Die ÖVP zerlegt sich; nach der türkisen ist (Stichwort Vorarlberg) die schwarze am Werk. Die SPÖ muss nur auf die Machtübernahme warten, sie darf dabei ja keine Kante, kein inhaltliches Profil zeigen. Damit würde sie immer auch Stimmen riskieren.

Natürlich: Das Teuerungsthema, das Rendi-Wagner im Unterschied zum Ukraine-Krieg tagein, tagaus aufgreift, muss sein. Es tangiert zu viele Menschen. Auch hier riskiert die Vorsitzende zunächst jedoch nichts: In der Pressestunde sprach sie sich für „gezielte Maßnahmen“ aus, um das Gegenteil zu fordern. Nämlich, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auszusetzen, die Mineralölsteuer zu senken und etwa die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom zu reduzieren. Davon würden vor allem auch Superreiche profitieren.

Vergleich „Konsumerhebung“ der Statistik Austria: Das unterste Zehntel der Haushalte wendet 244 Euro pro Monat für Lebensmittel, Energie und Kfz-Instandhaltung (inkl. Sprit) auf. Beim obersten Zehntel handelt es sich um dreieinhalb Mal so viel, nämlich 901 Euro. Absolut würde ihm also eine allgemeine Konsumsteuerreduktion, geschweige denn Aussetzung, mit Abstand am meisten bringen. Das wäre ein riesengroßer Streuverlust, der das einzige Argument dafür nicht wettmachen könnte; nämlich dass Ärmere in Relation zum verfügbaren Einkommen mehr für wirklich Notwendiges ausgeben müssen und die Preissteigerungen daher wirklich am meisten spüren.

Ideologisch eher passen zur SPÖ könnte zum Beispiel dies: Eine Erhöhung des Mindestsicherung etwa sowie – zur Finanzierung – die Einführung einer Erbschaftssteuer. Genau damit aber würde die Partei nicht nur Zuspruch ernten, sondern auch eine Kampagne gegen sich riskieren. Und das will sie nun eben unter allen Umständen vermeiden.

Am Ende des Tages könnte der Schaden jedoch überwiegen: Für die SPÖ ist offen, ob sie nach einer Wahl eine Koalition mit der ÖVP bilden muss oder mit Grünen und Neos zusammengehen kann. Wobei sie nicht einmal erklärt, was ihr lieber wäre. Das ist das eine. Das andere: In jeden Fall werden in den nächsten Jahren sehr große Reformen nötig sein. Wenn Rendi-Wagner glaubt, vor einem Urnengang keine ernsthaften Programme vorlegen zu müssen, wird sie hinterher, wenn sie gezwungen ist, polarisierende Standpunkte einzunehmen, umso mehr Menschen enttäuschen, die erst dann erfahren, wen sie eigentlich gewählt haben.

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