ANALYSE. Will die SPÖ-Vorsitzende nicht gleich schwer angeschlagen in den Wahlkampf ziehen, muss sie trotz aller Umstände die Regierung Kurz stürzen.
In den vergangenen Tagen ist immer wieder von einer Staatskrise die Rede gewesen. Und davon, dass Österreich gerade in diesen Zeiten, die die FPÖ zu verantworten habe, eine ruhige Führung brauche. Tatsächlich? Erstens haben vor allem nur ÖVP und FPÖ eine nachvollziehbare Beziehungskrise. Und zweitens sollte man es nüchtern sehen: Österreich funktioniert auch ohne Regierung. Man könnte sogar sagen, dass es ohne die eine oder andere Regierung der Vergangenheit besser dastünde. Hätte Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) seine Zeit beispielsweise ausschließlich im Kaffeehaus verbracht, wir würden heute Überschüsse machen.
Die Kehrseite: Maßnahmen wie der Familienbonus, der eineinhalb Milliarden Euro kostet, wären nicht gekommen. Andererseits hätte man sich z.B aber auch den „Think Tank“ erspart, den Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) eingerichtet hat. Oder seine Glückwunschinserate für erfolgreiche Sportler, die eine Viertelmillion Euro gekostet haben. Auch die automatische Erhöhung der Parteienförderung wäre nicht beschlossen worden. An Volksschulen wären Noten nicht wieder eingeführt worden, in Lokalen würde es ein Rauchverbot geben, Sozialversicherungen wären nicht einfach nur umgefärbt worden, der ORF wäre nicht pauschal der Lüge bezichtigt worden, Flüchtlinge würden in Erstaufnahme- und nicht in Ausreisezentren ankommen und so weiter und so fort.
Man muss also nicht gleich hysterisch werden, wenn es eine Regierungskrise gibt: Ein politisch zusammengesetztes Kabinett ist vor allem dazu da, notwendige Richtungsänderungen vorzunehmen. Insbesondere in echten Krisenzeiten wie 2007/2008. Davon sind wir jedoch weit entfernt, und die Regierungen der jüngeren Vergangenheit haben im Übrigen auch keine Veränderungen eingeleitet, die nachhaltig wichtig wären; zur Pensionssicherung beispielsweise.
Darüber hinaus ist eine Regierung grundsätzlich auch von daher wichtig: Ihre Funktion besteht darin, (zumindest indirekt) demokratisch legitimiert dem Staatsapparat vorzustehen. Aber das geht jetzt schon in Feinheiten hinein, die man in Österreich nicht so genau nimmt. Sonst würde man ja auch nicht einfach so darüber hinwegblicken, dass das Parlament bei der gegenwärtigen Regierungskrise de facto keine Rolle spielt.
Das nur vorweg. Gerhard Marschall hat an dieser Stelle bereits geschrieben, warum es selbstverständlich legitim sein muss, einer Regierung auf parlamentarischer Ebene das Misstrauen auszusprechen („Die Räson-Keule„). Hier geht es nun darum, das politisch zu beurteilen. Ergebnis: Unterm Strich kann SPÖ-Chef Pamela Rendi Wagner in der Sondersitzung des Nationalrats am kommenden Montag gemeinsam mit ihren Fraktionskolleginnen gar nicht anders, als das Übergangskabinett von Sebastian Kurz abzuwählen. Sonst ist sie im Hinblick auf die Nationalratswahlen im September so gut wie erledigt.
Rendi-Wagner wird ganz schön abgewatscht werden. Aber …
Rendi-Wagner muss sich selbstverständlich auf ein paar Widrigkeiten gefasst machen: Im Sinne des Bundeskanzlers haben der Bundespräsident und (nebenbei bemerkt) auch die Kronen Zeitung und die katholische Bischofskonferenz dazu aufgerufen, Kurz und seine Leute arbeiten zu lassen, parteipolitische Überlegungen hintanzustellen und staatspolitische Verantwortung an den Tag zu legen. Im Fall einer Abwahl wird Rendi-Wagner also ganz schön abgewatscht werden.
Als SPÖ-Vorsitzende muss sie das jedoch in Kauf nehmen. Mag sein, dass eine Wählermehrheit für Kurz eintritt, daneben gibt es aber nicht wenige, die das anders sehen und die Rendi-Wagner nicht auch noch enttäuschen kann. Das ist ganz einfach: Ohne Misstrauensvotum gewinnt sie gar nichts, mit einem Misstrauensvotum gewinnt sie wenigstens einen Teil der Wählerschaft.
Im Übrigen wäre es dank starker Verwaltung wie eingangs erwähnt nicht so, dass Österreich ohne Regierung Kurz dem Untergang geweiht wäre. Wer das vermittelt, betreibt bewusst Panikmache, ja Erpressung.
Und wo ist der staatspolitisch agierende Kanzler?
Abgesehen von alledem hätte Rendi-Wagner durchaus nachvollziehbare Gründe, Kurz das Vertrauen zu entziehen: Der Kanzler hat in den vergangenen zwei Jahren keinen Versuch unternommen, einen Austausch über die Koalition hinaus zu pflegen. Er lebte vielmehr von der Konfrontation. Und eine solche pflegt er nun ausgerechnet auch jetzt – indem er etwa gleich in seiner Rede am vergangenen Samstagabend der SPÖ „Stilstand“ vorwirft und aus der alten Wahlkampfkiste „Silberstein“ auspackt, ja diesen im Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ sogar übers Ausland (die deutsche „Bild“-Zeitung“) gegen die Sozialdemokratie instrumentalisiert.
Womit er sein Verständnis von staatspolitischer Verantwortung zum Ausdruck gebracht hätte. Und überhaupt: Die Expertenminister hat er durch Beistellung seiner Mitarbeiter ihrer Unabhängigkeit beraubt. Und dem Nationalrat Rede und Antwort zu stehen, hat er gar keine Eile, was überhaupt zu einer Debatte über die demokratiepolitischen Verhältnisse in diesem Land zwingen müsste. Aber das ist jetzt eine andere Geschichte.