Rache für Kurz

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ANALYSE. Die ÖVP beginnt erst jetzt dafür zu büßen, sich 2017 aufgegeben und ganz einem rechtspopulistischen Blender überlassen zu haben. Genauer: Österreich wird dafür zahlen.

Bisher brachten eher nur Umfragen zum Ausdruck, was von der ÖVP ohne Sebastian Kurz geblieben ist: Ein Häufchen Elend, das abgeschlagen auf Platz drei liegt. Allmählich dämmert es Karl Nehammer und Freunden jedoch, was da wirklich läuft: Bei der Tiroler Landtagswahl setzte es einen Verlust von rund zehn Prozentpunkten. Die Aussichten auf die niederösterreichische Landtagswahl am 29. Jänner sind nicht gut; jene auf die dann folgenden Urnengänge in Kärnten und Salzburg auch nicht. Gut scheinen die Aussichten nur noch für die Freiheitlichen zu sein. Berücksichtigt man die Schwankungsbreiten bei einer qualitativ höherwertigen Erhebung, die des Hajek-Institut durchgeführt hat, dann könnten in Niederösterreich alle verlieren – außer sie. Sie könnten ihren Stimmenanteil verdoppeln und auf bis zu 28 Prozent kommen.

Was hier läuft, ist eine Rache für Kurz. Um zu erklären, was damit gemeint ist, muss man ins Jahr 2017 zurückgehen. Die damaligen Umstände ähneln den heutigen: Die FPÖ lag vorne, Heinz-Christian Strache schien als Kanzler bereits fix zu sein. Die ÖVP geriet in Panik, glaubte aber, mit Sebastian Kurz die Lösung zu haben.

Dieser konnte dann wirklich das Kanzleramt erobern und größere Wahlerfolge erzielen. Um den Preis aber, freiheitliche Zugänge zu Asyl, aber auch Justiz oder Medien zu kopieren. Und den Leuten erfolgreich einzureden, für eine saubere, wertschätzende, neue Politik zu stehen. Was letztlich kam, verdeutlichte einer Masse, einem Blender auf den Leim gegangen zu sein, ja betrogen worden zu sein.

Die ÖVP zahlt nun mehrfach dafür: Seit dem Rücktritt von Kurz ist sie inhaltlich wie personell nackt. Vor allem aber ist sie durch diesen jetzt erst recht für sehr viele Menschen unten durch. Das bekommt sie nicht nur auf Bundesebene zu spüren, sondern auch in den Ländern.

Außerdem: Das Original, also die FPÖ, die sie in den vergangenen Jahren zunächst erfolgreich kopiert hat, scheint jetzt noch begehrter zu sein. Es wirkt lächerlich, wie sehr Nehammer, aber auch Johanna Mikl-Leitner, in ihrer Verzweiflung nur umso mehr versuchen, bläulich türkis zu wirken. Gerade, dass sie sich nicht für eine Festung Österreich aussprechen (wenn sie schon Zäune fordern) oder in Bezug auf Klimaaktivisten von einer „Zöpferl-Diktatur“ reden, wie es Norbert Hofer einmal getan hat (wenn sie schon Haftstrafen für Aktivsten verlangen).

Wie das ausgeht, ist absehbar: Bei Kurz ging das Ganze vorübergehend auf, weil er ein grandioser Kommunikator war und die FPÖ in Folge der Ibiza-Affäre (schier bodenlos) tief fallen ließ zum eigenen Vorteil. Nehammer und Mikl-Leitner können weder reden noch die Freiheitlichen sonst irgendwie schwächen. Sie sind verloren.

So wird sich die ÖVP in Umfragen eher in Richtung weniger als 20 und die FPÖ gegen 30 Prozent und mehr bewegen. Und bei der Volkspartei wird es zunächst zu einer Verhärtung in Regierungsfunktion kommen, die sie bis zu einer Wahl im Herbst 2024 behalten könnte. Sprich: Sie wird in der Asylpolitik nachlegen und in der Klimapolitik noch weiter nachlassen. Sie wird versuchen, Macht über den Tag hinaus zu sichern, wie und wo sie nur kann. Bei Postenbesetzungen zum Beispiel im Verteidigungsministerium, im ORF (daher keine Entparteipolitisierung) oder ganz grundsätzlich durch eine Schwächung der Medien (daher Einstellung der kleinen, aber selbstbewussten Wiener Zeitung und Verstaatlichung der Journalismusausbildung). Am Ende wird sie sich mit Kickl arrangieren.

Die Grünen bleiben übrig. Sie haben so viel Selbstaufgabe betrieben in der Koalition, sind so weitreichende Kompromisse eingegangen, dass es schwer für sie sein wird, Verluste zu verhindern. Wenn es ganz übel für sie kommt, könnten sie – wie die Neos – am 29. Jänner aus dem niederösterreichischen Landtag fliegen. In der eingangs erwähnten Umfrage reicht die Schwankungsbreite bei beiden hinunter bis vier Prozent.

Es grenzt an ein Wunder, dass die SPÖ von alledem nicht profitiert. Vielleicht aber hat es damit zu tun, dass sie sich nicht couragiert als Alternative anbietet. Dass sie zögerlich ist und dass Teile von ihr drängen, mit Hans Peter Doskozil auch ein bisschen blau zu machen. Treppenwitz: Wenn einer das zumindest annähernd so wirkungsvoll wie Kurz erledigen kann, dann am ehesten – in der gesamten Innenpolitik – er zum Leidwesen von Kickl und der FPÖ. Nachhaltiges Erfolgskonzept muss das jedoch keines sein. Siehe ÖVP.

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