ANALYSE. Über die meisten Vorschläge, die Kern gemacht hat, gibt sich die ÖVP erfreut. Doch das kann nicht ihr Ernst sein, ist er doch dabei, sie zu Tode zu umarmen.
Wer erwartet hat, dass SPÖ-Chef Christian Kern in seiner Welser Rede ein paar Hürden aufstellt, die der Koalitionspartner nicht überwinden kann, wurde enttäuscht. Das Gegenteil ist fürs Erste passiert: ÖVP-Generalsekretär Werner Amon kann es kaum erwarten, an die Umsetzung von Forderungen, wie jener nach Einführung eines Mehrheitswahlrechtes, einer Senkung der Lohnnebenkosten oder einem umfassenden Bürokratieabbau, zu gehen. Dabei handelt es sich seiner Ansicht ja quasi auch um Dinge, die man von bürgerlicher Seite schon immer verlangt hat.
Der Schein trügt jedoch: Wenn es Kern schafft, seinen „Plan A“ über die kommenden Monate hinweg zu beleben, dann bekommen zumindest zwei Parteien erhebliche Probleme: die FPÖ und viel mehr noch die ÖVP.
Zunächst zu den Freiheitlichen: Rufe nach einer Zugangsbeschränkung für osteuropäische Billigarbeitskräfte, eine Erbschaftssteuer für Superreiche, eine Beschäftigungsgarantie für Ältere oder überhaupt auch einer Zuwanderungsbeschränkung sind ganz nach dem Geschmack der Zielgruppen von Heinz-Christian Strache und Co.: Menschen, die sich benachteiligt fühlen, die skeptisch in die Zukunft blicken und die für einen guten Teil ihres Unglücks eben Fremde verantwortlich machen. Kern formuliert die Angebote für sie ganz anders; entscheidend ist jedoch, dass er welche macht.
Kern hat ein Programm entwickelt, das – mit Ausnahme von Millionären, Bauern und Beamten – über weite Strecken auch ÖVP-Zielgruppen ansprechen könnte.
Viel mehr Sorgen bereiten muss sein Vorgehen der ÖVP. Kern hat ein Programm entwickelt, das – mit Ausnahme von Millionären, Bauern und Beamten – über weite Strecken auch ihre Zielgruppen ansprechen könnte: Immerhin will er das Unternehmertum stärken. Weg mit einem Drittel der Regulierungen! Leistung soll sich lohnen. Vergesst die Gesamtschule, das war gestern! Die Steuer- und Abgabenquote soll ebenso gesenkt werden wie die Staatsverschuldung. Private Initiativen sind gefragt, Start-ups müssen gefördert werden! Und so weiter und so fort, Österreich soll eine Gründernation werden!
Im ersten Teil seiner Rede wurde Kern nicht müde, seine Erfahrungen als Manager und seine Kontakte zu Selbstständigen hervorzuheben. Ob gewollt oder nicht: Das war indirekt auch eine Spitze gegen Leute wie Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Außenminister Sebastian Kurz. Außerhalb der Politik haben sie bisher jedenfalls nicht viel mehr als die Schulbank und/oder die Wirtschaftskammer kennengelernt.
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All das kann sich die ÖVP nicht bieten lassen, sonst bleibt nicht viel übrig von ihr: Wenn Kern sich da zum Hoffnungsträger aller Leistungswilligen und –fähigen entwickelt, droht sie zu einer 10-Prozent-Partei zu verkümmern. Und überhaupt: Wenn Kern auch noch sein Mehrheitswahlrecht durchsetzt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach der nächsten Nationalratswahl auf der Oppositionsbank verschwindet, noch weiter.