ANALYSE. Die Erwähnung eines „Sideletters“ in der Korrespondenz zwischen Kurz und Strache ist eine Bestätigung bedenklicher Verhältnisse zwischen Politik und Wirtschaft bzw. Medien.
Der Rechnungshof geht so kompromisslos gegen die „zu enge“ Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft vor, die sein Ex-Präsident Franz Fiedler ortet, wie er nur vorgehen kann: In einem aktuellen Bericht hat er sich daran gestoßen, dass im Aufsichtsrat des landeseigenen Energieversorgers TIWAG zum Beispiel Landesrätin Patrizia Zoller-Frischauf (ÖVP) vertreten ist. Über diese Kritik kann man sich wundern, wenn man österreichische Verhältnisse gewohnt ist. In anderen Bundesländern gibt es das nicht nur ebenfalls; im Aufsichtsrat der Salzburg AG fungiert Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) sogar als Präsident, ist also Chef ebendort. Vom Rechnungshof wird jedoch ein Argument dagegen vorgetragen, das man nicht so einfach vom Tisch wischen kann: Mitglieder einer Landesregierung haben sehr vielfältige Interessen abzuwägen. Mitglieder eines Aufsichtsrates sind dagegen allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Da kann eine Doppelfunktion nicht nur zu Konflikten und Unvereinbarkeiten führen, im Laufe der Zeit muss sie es tun.
Kleiner Einschub: Wenn man findet, dass Unternehmen vorrangig politischen bzw. allgemeinen Interessen zu folgen haben, wäre es wohl die sauberste Lösung, sie nicht mehr als Aktiengesellschaft firmieren zu lassen, sondern gewissermaßen als Teil der Verwaltung. Einschub Ende.
Es wäre interessant, wie der Rechnungshof die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrates sieht, der im Grunde genommen ja auch eine Art Aufsichtsrat ist. Der ORF unterscheidet sich von einem Unternehmen auf dem freien Markt insofern, als er zum Teil gebührenfinanziert ist und vor allem einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen hat. Er hat quasi der Allgemeinheit zu dienen und wird daher auch finanziell von ihr mitgetragen. Damit bleibt die Verfilzung, die von der Politik betrieben wird, erst recht problematisch. Zumal es ihr im konkreten Fall eher um die Durchsetzung von Parteiinteressen geht bzw. sie sich nicht einmal darum schert, auch nur einen entsprechenden Anschein zu vermeiden.
An dieser Stelle ist es an der Zeit, die SMS-Nachrichten zu erwähnen, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) einander vor rund zwei Jahren geschrieben haben. Sie sind über den Ibiza-U-Ausschuss bekannt geworden. Womit sich diejenigen, die das zugelassen haben, nichts Gutes getan haben; vielleicht aber wollten sie auch genau das erreichen, nämlich berechtigte Stimmen laut werden lassen, wonach es problematisch ist, strafrechtlich belanglose, vertrauliche Korrespondenz zu veröffentlichen. Sehr viel spricht für die Geheimhaltung, zumindest dies dagegen: eine Relevanz für die Allgemeinheit.
So ist bestätigt worden, dass es einen türkis-blauen „Sideletter zum ORF“ gegeben hat, eine Vereinbarung zu Gebühren und wohl auch Einflusssicherung über eine Änderung des ORF-Gesetzes. Das ist zwar Geschichte. Kurz, der eigentlich einen „neuen Stil“ versprochen hat, ist jedoch Kanzler geblieben, im kommenden Sommer findet die Wahl eines neuen (oder vielleicht auch die Bestätigung des bestehenden) Generaldirektors statt und die Vorstellungen der Grünen sind ungewiss. Da gehört Licht gemacht.
Nach außen hin hat sich der Umgang mit dem ORF geändert. Freiheitliche Stimmen, die eine Zerschlagung fordern oder konkret – in Person von Norbert Steger – eine Auszeit für Armin Wolf, spielen keine Rolle mehr. Insofern hat sich zwar einiges gebessert, es ist aber noch lange nicht alles gut. Zu den wichtigen ÖVP-Leuten im Stiftungsrat zählt beispielsweise Gregor Schütze, der bis vor wenigen Tagen nicht nur als Sprecher von „Hygiene Austria“ aufgetreten ist, sondern (von diemedien.at) auch als „Schüsselspieler von Sebastian Kurz in der Medienpolitik“ eingestuft wird (er war im Übrigen auch Sprecher von Ex-Finanz- und Innenministerin Maria Fekter, ÖVP).
Auf der anderen Seite ist auf Grünen-Wunsch Ex-Partei- und Alexander Van der Bellen-Sprecher Lothar Lockl in den Stiftungsrat eingezogen. Er profitiert als Agentur-Miteigentümer heute u.a. auch von Aufträgen der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler, wie sie hier in einer aktuellen Anfragebeantwortung berichtet.
Sprich: Nach den strengen Maßstäben des Rechnungshofes sind Leute entscheidend im ORF, die sehr große Interessenskonflikte aufweisen könnten. Und allein schon diese Möglichkeit tut dem öffentlich-rechtlichen ORF nicht gut.
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