ANALYSE. Das Wien-Wahl-Ergebnis und die Ruhe auf Bundesebene täuschen darüber hinweg: Die FPÖ ist weiter auf dem Vormarsch. In den kommenden zwei Jahren muss sich entscheidendes ändern.
Natürlich, bei Umfragen muss man vorsichtig sein. Manche Ergebnisse sollte man erst gar nicht veröffentlichen. Es ist zum Beispiel fraglich, ob die Trendprognose, die der ORF gemeinsam mit Privatsendern um 17 Uhr nach geschlagener Wien-Wahl brachte und über die es dort laut Ö1-Mittagsjournal intern auch Diskussionen gibt, dem Seriositätsgebot entspricht, dem er als öffentlich-rechtlicher Sender unterworfen ist: Es gab zwar den Hinweis auf Schwankungsbreiten und vieles andere mehr. 37 Prozent für die SPÖ verleiteten die eigenen Analysten aber zu Aussagen, die sie heute vielleicht ebenso bereuen wie die „Presse“ ihre erste Print-Ausgaben-Schlagzeile, die dann am Folgetag zum Beispiel in Tirol zu lesen war: „Wiens SPÖ stürzt in historisches Tief.“
Tatsächlich wäre es nicht nur ihr schlechtestes Ergebnis der Geschichte gewesen, es wäre sich auch die Fortsetzung ihrer bisherigen Regierungszusammenarbeit mit den Neos nicht mehr ausgegangen etc.
Es basierte auf dem rein umfragegestützten erwarteten Wahlausgang, zu dem sich Kommentatoren am Sonntag eineinhalb Stunden lang äußerten, Redakteure Texte schrieben und vermeintliche Wahlsieger und -verlierer um Stellungnahmen gebeten wurden. Es prägte Bewertungen und Sichtweisen, die bleiben. Eigentlich ein Wahnsinn.
Am Ende war einiges anders. Die SPÖ verlor weniger, die Noes gewannen mehr, sodass die rot-pinke Mehrheit geblieben ist und so weiter und so fort. Anstelle eines historischen Tiefs gab es wenig Überraschendes. Die FPÖ legte stark zu, holte aber bei weitem nicht alles zurück, was sie vor fünf Jahren verloren hatte, während die ÖVP wieder auf Vor-Kurz-Niveau liegt etc.
Das Wahlergebnis nährt die Illusion, dass die Phase großer politischer Verwerfungen vorbei sei. Sie kommt vor allem von der Bundesebene her: Da herrscht eine gewisse Erleichterung darüber, dass Herbert Kickl als Kanzler verhindert ist, Schwarz-Rot-Pink nun einen so ruhigen Job macht und jetzt „alles gut“ ist, wie man so sagt.
Schaut man – selbstverständlich mit gebotener Vorsicht – auf Umfragewerte, sieht man freilich, dass die FPÖ im Durchschnitt noch immer weit über 30 Prozent sowie ÖVP und SPÖ jeweils kaum über 20 Prozent liegen. Ja, dass sie zusammen mit Neos auf nicht viel mehr als 50 Prozent kommen. Sprich: Bei Wahlen am kommenden Sonntag könnte die FPÖ von Herbert Kickl die noch größerer Siegerin sein als beim Urnengang im vergangenen Herbst. Dass er die Chance, Kanzler zu werden, nicht ergriffen hat, hat ihm demnach nur begrenzt geschadet. Und: Dem Anfang (der Regierung) wohnt (aus Sicht der Wähler) eher kein Zauber inne. Die Stimmung hat sich stabilisiert, aber nicht gedreht.
Da muss etwas passieren in den kommenden zwei Jahren. Eine Operation 2027/2029 wäre fällig: Die schwarz-rot-pinke Erzählung, wonach das Richtige getan und der Kompromiss gepflegt werde, ist schön und gut. Notwendig wäre es aber, einen Zusatz zu liefern, der in größeren Teilen der Bevölkerung Zuversicht aufkommen lässt. Das fehlt.
Und das ist gefährlich: Zwei Jahre sind nicht viel Zeit, wenn man allein an die Herausforderungen bei der Budgetsanierung denkt, die zunächst zu bewältigen sind. Nur zwei Jahre sind jedoch Zeit, weil dann, im Herbst 2027, die nächste größere Wahl ansteht: die Landtagswahl in Oberösterreich. Und weil man im Hinblick darauf – Stand heute – nicht fix davon ausgehen kann, dass die ÖVP vorne bleiben und weiterhin den Landeshauptmann stellen wird.
Eine Mehrheit für die FPÖ scheint Erhebungen zufolge möglich. Es wäre ein weiterer Dammbruch, mit dem eine Dynamik einhergehen könnte, die dann nicht mehr zu stoppen ist: In weiterer Folge werden unter anderem Landtagswahlen in Kärnten stattfinden, wo die FPÖ bei National- und Europawahlen abgeräumt hat. Es wird Bundespräsidenten-Wahlen geben, für die sich noch kein Nicht-Freiheitlicher abzeichnet, der (oder die) von der Papierform her wirklich gute Karten haben sollte.
Und spätestens 2029 wird es dann die nächste Nationalratswahl geben: Im Hinblick darauf sind die kommenden zwei Jahre entscheidend. Müssen vor allem ÖVP und SPÖ jeweils für sich und dann auch gemeinsam mit den Neos das Ruder herumreißen; müssen sie besser heute als morgen klären, wie sie das anstellen wollen.