ANALYSE. Sebastian Kurz hat einen großen Wahlsieg erzielt, aber keinen Partner mehr für eine „ordentlichen Mitte-Rechts-Politik“. Ausmachen muss ihm das nichts.
„Unser Weg hat gerade erst begonnen“, lautete der Slogan, mit dem die ÖVP von Sebastian Kurz in den Wahlkampf gestartet ist. Am Ende hat sie hoch gewonnen – und sich doch davon entfernt, ihren Weg einfach so fortsetzen zu können. Wenn, dann ist das ausschließlich im Rahmen einer Minderheitsregierung möglich. Was heißt „wenn“? Eine solche ist sogar sehr verlockend geworden.
Auf dem Weg zur Nationalratswahl ist aus Sicht der neuen Volkspartei etwas schief gelaufen. Zwar hat sie in den vergangenen Tagen wohl auch von der freiheitlichen Spesenaffäre profitiert. Die Folgen dieser Spesenaffäre machten die Freiheitlichen jedoch endgültig zu einem ganz und gar unbrauchbaren Koalitionspartner: Mag sein, dass Norbert Hofer in den nächsten Tagen ganz schön aufräumen wird in seinen Reihen, Parteiausschluss von Heinz-Christian Strache und dessen Netzwerkern inklusive. Das muss Hofer aber erst einmal durchbringen. Immerhin sind die freiheitlichen Perspektiven vorerst katastrophal: Die Wiener Landesorganisation steht ohne Strache zum Beispiel vollkommen führungslos da. Und es ist niemand in Sicht, der ein brauchbares Ergebnis zusammenbringen könnte. Sprich: Die FPÖ muss sich erst konsolidieren. Und überhaupt: „Einzelfälle“ wird es so oder so weiterhin geben; sie wiederum findet Sebastian Kurz eigenen Worten zufolge zu „widerlich“.
Also Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder eine erweiterte Konstellation, die auch die Neos inkludiert? Der Weg, den Kurz begonnen hat, wäre damit zu Ende. Schulnoten wiedereinführen, Mindestsicherung kürzen oder eine Justizpolitik betreiben, die ausschließlich auf härtere Strafen setzt (Stichwort Gewaltschutzpaket) sowie einen rechtspopulistischen Flüchtlings- und Migrationskurs verfolgen – all das geht sich summa summarum nur mit den Freiheitlichen aus, mit Sozialdemokraten und Neos jedoch kaum und mit den Grünen schon gar nicht.
Wobei man genauer hinschauen muss: Sebastian Kurz wäre grundsätzlich zu einem Paradigmenwechsel bzw. einer völlig neuen Geschichte mit einem ganz anderen Partner in der Lage. Nachdem aber gerade erst sein bisheriger Kurs bestätigt worden ist, wird er diesen wohl kaum aufgeben wollen.
Bleibt die Option Minderheitsregierung: Sie ist sehr, sehr verlockend geworden. Klar, irgendwann wird es ein Misstrauensvotum gegen Kurz und schließlich weitere Neuwahlen geben. Schnell wird das jedoch nicht gehen. Die Freiheitlichen sind auf absehbare Zeit quasi in der Intensivstation und dann auf Reha. Und die Sozialdemokraten sind ebenfalls abgemeldet.
Ihnen muss man einen eigenen Absatz widmen: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat getan, was sie kann. Ihr ist das rote Debakel bei weitem nicht allein zuzuschreiben. Da ist viel mehr: Die Sozialdemokratie verschwindet schon seit längerem in den ländlichen Regionen. Und in den Städten macht sie sich nicht einmal die Mühe, ein attraktives Angebot für die Jungen zu machen. Bildung? War kein Thema im Wahlkampf. Und zum Klimaschutz haben die Genossen in den letzten Wochen Vorschläge gemacht, die schwarzen und blauen näher waren als grünen und pinken.
Ihre Krise ist eben nicht nur Rendi-Wagner anzulasten: In zwei von drei Ländern, in denen Sozialdemokraten führend sind, versuchen sie, sich mit Mitte-Rechts-Angeboten zu halten: in Wien und im Burgenland (einzig in Kärnten ist das anders). Da ist es einer Bundespartei von vornherein unmöglich, ein Alternativprogramm zur „ordentlichen Mitte-Rechts-Politik“ von Kurz zu entwickeln; das wird von zu großen Teilen der Partei durchkreuzt.
Zurück zur schwarzen Minderheitsregierung: So, wie Kurz Politik macht, und angesichts des Zustandes von SPÖ und FPÖ, könnte eine solche zu einer Art Alleinregierung werden. Kurz spürt wie kein anderer, was die Mehrheit der Bevölkerung will und er liefert wie kein anderer Sprachbilder, Symbole und Inszenierungen dazu. Strukturreformen auch tatsächlich umsetzen, ist ihm bisher jedoch weniger wichtig gewesen. Also wäre es ihm sogar zuzutrauen, überaus erfolgreicher Kanzler einer Minderheitsregierung in dem Sinne zu werden, dass er auch bei den nächsten, baldigen Wahlen zulegen kann.
Dieser Text ist zunächst auf VIENNA.AT erschienen.
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