ANALYSE. Parallel zu den Koalitionsverhandlungen brechen für die Partei von Sebastian Kurz immer mehr vermeintliche Assets weg.
Was bleibt von Türkis-Blau? Die Liste wird immer kürzer. Gestrichen werden muss unter anderem dies: 1,50 Euro-Jobs für Flüchtlinge, Ausreisezentren (statt Erstaufnahmezentren), Casinos-Finanzvorstand Peter Sidlo, Personalagenden für Nationalbankchef Robert Holzmann, das Nulldefizit, der über die Casinos-Affäre gestolperte ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger, eine Milliarde Euro Einsparungen bei der Zusammenlegung der Sozialversicherungen und das sogenannte „Sicherheitspaket“ inkl. Bundestrojaner – es ist soeben vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden.
Das ist bemerkenswert: „Unser Weg hat erst begonnen“, lautete der Slogan, mit dem die ÖVP von Sebastian Kurz in den Nationalratswahlkampf zog. Gemeint war damit dies: Inhaltlich hat alles gepasst, die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen hat nur wegen der vielen Einzelfälle und der „Ibiza-Affäre“ beendet werden müssen. Sprich: Wenn das geklärt ist, kann’s weiter gehen.
Heute ist jedoch klar: Mit den Freiheitlichen geht gar nichts mehr; sie haben sich noch nicht einmal von Heinz-Christian Strache getrennt. Vor allem aber: Auch inhaltlich wird eine Fortsetzung des bisherigen Weges mehr und mehr zu einer gefährlichen Drohung. Nötig wäre aus Sicht der ÖVP vielmehr ein Neustart; und zwar zunächst für sie selbst.
Mit der Flüchtlingspolitik ist Kurz groß geworden. Das war relativ einfach: Grenzen zu und aus. Dieses Thema verliert jedoch an Zugkraft. Und Kurz selbst hat im Hinblick auf die Koalitionsverhandlungen ein ganz anderes Thema an die Spitze seiner Agenda gestellt: Wirtschaft.
Ausgerechnet Wirtschaft: Über die Kammerwelt hinaus hat man schon immer über die Wirtschaftskompetenz der Volkspartei streiten können. Reglementieren und fördern sind die beiden Schwerpunkte. Leistungsbezogen und frei ist da wenig.
Die Casinos-Affäre hat jetzt zusätzliche Zweifel aufkommen lassen: Es ist offensichtlich, dass die ÖVP gemeinsam mit der FPÖ eine uralte Praxis pervertiert hat. Stichwort Postenschacher im gesamten staatlichen Bereich. Bei den Casinos hatte er insofern eine besondere Qualität, als er auch dort praktiziert wurde, wo die öffentliche Hand über die Beteiligungsgesellschaft ÖBAG nur zu einem Drittel beteiligt ist. Das konnte nicht gut gehen.
Das Ergebnis ist bekannt und für den Standort Österreich katastrophal: Einem Privatbeteiligten (Novomatic) wird der Imageschaden zu groß, er verkauft seine Anteile daher einem anderen Privatbeteiligten (Sazka). Nein, hier geht es nicht darum, dass die Casinos nun mehrheitlich an einen Tschechen gehen dürften, sondern um die Botschaft, die von dieser Geschichte in die Welt hinausgeht: Finger weg von der rot-weiß-roten „Wirtschaftspolitik“. Sie mischt mit, wo sie kann. Und das könnte letzten Endes auch Ihnen zum Verhängnis werden.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >
9 Kommentare