ANALYSE. Altvordere wie Schüssel vermitteln eine einseitige Sichtweise zu Regierungsverhandlungen mit den Grünen. Ihr eigener Beitrag zum Scheitern ist in Wirklichkeit groß. Parallelen zu heute.
Ehemalige Führungsleute aus der ÖVP lassen kaum eine Gelegenheit aus, zu schildern, wie das 2003 bei den gescheiterten Regierungsverhandlungen mit den Grünen gewesen sei. Wolfgang Schüssel, Martin Bartenstein und Andreas Khol erwecken den Eindruck, dass eigentlich nur an einzelnen Grünen gescheitert sei. „Der Sargnagel war Peter Pilz“, diktiert Bartenstein der „Presse“. Und Schüssel lässt ebendort wissen, dass es zu „fundamentale Einwände der Wiener und anderer Städte auf grüner Seite“ gegeben habe.
In Wirklichkeit ist das sehr provokant; es könnte den einen oder anderen Grünen durchaus dazu motivieren, zu kontern. Zumal Wolfgang Schüssel Werner Kogler und Co. auch noch schulmeistert, dass sie hoffentlich dazugelernt und „das Pflichtenheft des Regierens“ studiert hätten.
Muss man sich das auf grüner Seite bieten lassen? Nein. Darauf antworten hieße jedoch, sich dem schwarz-türkisen Vorwurf auszusetzen, Sand ins gegenwärtige Sondierungsgetriebe zu streuen. Abgesehen davon war es vor 16 Jahren selbstverständlich so, dass auch, aber nicht nur Grüne einer Koalition im Weg gestanden sind. Es gab vielmehr auch schwarze Hürden, die von türkisen von heute eher noch übertroffen werden.
Ein Wort bringt den schwarzen Beitrag gegen Schwarz-Grün 2002/03 ziemlich gut zum Ausdruck: „Haschtrafiken“. Im damaligen Nationalratswahlkampf hatte die ÖVP erklärt, dass im Falle einer grünen Regierungsbeteiligung Haschisch als ganz normales Konsumprodukt erhältlich werden würden; und zwar in Trafiken eben. Das sollte Mitte-Rechts-Wähler mobilisieren. Allerdings: Hinterher konnte die ÖVP mit den Grünen, wie sie von ihr dargestellt worden waren, schon von daher nicht gut koalieren. Damit hätte sie sich ein massives Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt.
Auch heute gibt es nicht nur grüne, sondern auch türkise Hürden: Sebastian Kurz hat sich ganz entscheidend durch seine Asyl- und Integrationspolitik nach oben gearbeitet. Wobei er nicht nur Grenzkontrollen und „Stopp der Zuwanderung in Sozialsystem“ propagierte, sondern dies auch durch die Warnung vor linken und damit auch grünen Zugängen zu diesen Themen verstärkte.
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Ja, das hat sogar dazu geführt, dass sich die ÖVP einmal mehr doppelt selbst im Weg steht in Bezug auf Schwarz- bzw. Türkis-Grün: Wie schon 2003 hat sie 2019 wieder sehr viele Mitte-Rechts-Wähler gewonnen und damit auch Erwartungshaltungen in ihren eigenen Reihen; und wieder hat sie selbst so sehr vor grüner Politik gewarnt, dass sie sich schwer darauf einlassen kann.