ÖVP in der selbstgebauten Asylfalle

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ANALYSE. Der Volkspartei hat dazu beigetragen, dass Migration und Asyl in Österreich als größeres Problem wahrgenommen wird als in den meisten EU-Ländern. Es wird ihr jetzt zum Verhängnis.

Im APA-Wahltrend, der auf Sonntagsfragen zur Nationalratswahl basiert, werden der ÖVP jetzt schon weniger als 20 Prozent ausgewiesen. 19,7 Prozent, um genau zu sein (Abfrage am 5. Mai). Auch bei den Landtagswahlen, die heuer im Herbst ebenfalls stattfinden werden, droht der Partei ein Debakel. Darauf lassen Erhebungsergebnisse schließen, die Peter Hajek, einer der Besten seiner Zunft, vorgelegt hat: In Vorarlberg liegen die Schwarzen (mit 32 Prozent) nur noch knapp vor der FPÖ (29), in der Steiermark befinden sie sich (mit 22 Prozent) bereits weit hinter dieser (29 Prozent).

Eine bürgerliche Welt implodiert. Im „Kurier“ hat Bundesobmann Karl Nehammer seinen letzten Versuch, irgendetwas zu retten, gerade selbst für gescheitert erklärt. Stichwort „Leitkultur-Debatte“. Schuld seien Leute aus der Partei und einer Agentur. Als wäre das Problem nur die unsägliche Kampagne mit Titeln wie „Tradition statt Multikulti“ gewesen. Das Problem war und ist Führungsschwäche, also Nehammer: So etwas kann nur passieren, wenn Mitarbeiter nicht wissen, worum es inhaltlich gehen soll; was in diesem Fall insofern kein Wunder ist, als Nehammer bis heute keine ernstzunehmende Erläuterung dazu geliefert hat, was er unter „Leitkultur“ versteht.

Wäre die ÖVP noch eine funktionierende Partei, sie würde längst eine Obmanndebatte führen. Aber das hat sich aus zwei Gründen erledigt: Die Bundespartei als Partei hat sich mit Kurz aufgegeben (sie wurde eine Ein-Personen-Bewegung); und in den Ländern hängen sie in den Seilen, siehe beispielhaft Vorarlberg und die Steiermark.

Da glaubt Nehammer wieder voll auf das Asylthema setzen zu müssen. Da und dort kommt er sogar durch damit. Bei der Gratiszeitung „Heute“ brachte er es Ende April zu folgender Schlagzeile: „ÖVP will jetzt härtere Asylregeln.“ Man glaubt es nicht: Jetzt. Die ÖVP – die seit 24 Jahren nichts anders fordert, obwohl sie es ist, die – 2018 und 2019 ausgenommen – seit dem Jahr 2000 das zuständige Innenministerium führt. Insofern war die Schlagzeile unfreiwillig komisch, hätte auch von der satirischen „Tagespresse“ kommen können.

Die Sache ist aber nicht lustig. Auch mit der Ansage, die Nehammer an diesem Wochenende beim ORF und vielen anderen Medien durchgebracht hat, nämlich jener, Familiennachzug strenger zu kontrollieren, schadet der ÖVP-Chef der ÖVP: De facto handelt es sich jedes Mal um Eingeständnisse: „Wir reden zwar seit einem Vierteljahrhundert von strengeren Asylregeln und wären auch verantwortlich dafür, haben aber nie ernstgemacht.“ Oder: „Beim Familiennachzug haben wir bisher nicht genau hingeschaut.“

Das ist umso dramatischer, als die ÖVP unter Sebastian Kurz mit dem Thema zwar Wahlerfolge erzielen konnte, aber halt nur schnelle: Die Schließung der Balkanroute, für die sich der junge Mann gerühmt hat, stellte sich bald als Schmäh heraus. Vor allem aber hat Kurz dazu beigetragen, dass das Thema in Österreich als besonders großes Problem gesehen wird.

Gemeint ist das in Relation zu anderen Problemen: Asyl und Migration ist eine wachsende Herausforderung. Aber nicht die einzige. Daneben gibt es zum Beispiel die europäische Sicherheit und Verteidigung. Bei der jüngsten Eurobarometer-Erhebung zur EU-Wahl wurde sie europaweit von über 30 Prozent zu den größten Problemen gezählt. Es gibt ja den Krieg in der Ukraine. In Deutschlang belief sich der Anteil sogar auf 41, in Dänemark auf 56 Prozent. In Österreich war er nicht einmal halb so groß (27 Prozent). Hier steht eher Asyl im Zentrum (mit 36 Prozent, gegenüber 24 Prozent europaweit).

Der Punkt ist, dass sich die Leute zu dem, was sie als besonders großes Problem mitgeteilt bekommen, zurecht Lösungen erwarten. Dass die ÖVP mehr denn je deutlich macht, diese nicht liefern zu können. Und dass sich darüber die FPÖ von Herbert Kickl freuen kann.

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