ÖVP hat trotzdem Chancen

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ANALYSE. Die „Leitkultur“-Beiträge sind eine Zumutung, die Partei hat die Mitte freigegeben – dafür, das Kanzleramt zu halten, könnte es jedoch reichen.

Es ist nicht (nur) Unvermögen, sondern Strategie von ÖVP-Chef Karl Nehammer und Co., bei „Leitkultur“-Beiträgen dumpf bis vage zu sein. Zwischendurch also zu posten, dass es hier um „Tradition statt Multikulti“ gehe und im Übrigen einzugestehen, dass man nichts Konkretes vorzulegen habe.

Das Ganze lebt davon, dass sich Zielgruppen, die der ÖVP wichtig sind, selbst zusammenschustern können, was ihnen gefällt. Und dass die Volkspartei so den Vorwurf, es handle sich um AfD-, ja Identitären-Niveau, zwar empört zurückweisen kann, im Grunde genommen aber dankbar ist, dass er erhoben wird: Es zeigt der FPÖ-Klientel, dass man wählbar ist.

Die „Leitkultur“-Beiträge sind gezielt unterirdisch. Sie werden nicht einmal dem Sozialwissenschaftler Bassam Tibi gerecht, dem der Begriff zugeschrieben wird. Es gehe nicht um „Sauerbraten“, hat er einmal gemeint, als in Deutschland davon die Rede war. Wie hierzulande vom „Schnitzel“. Es gehe auch nicht um „Hegemonie gegenüber zugewanderten Minderheiten“, beteuerte er. Hierzulande könnte er heute auch sagen, es gehe nicht darum, Männer rauszuwerfen, die sich weigern, Frauen die Hand zu geben.

Tibi beteuerte, dass er eine europäische Leitkultur anstrebe, mit einem Primat der Vernunft vor religiöser Offenbarung; mit individuellen Menschenrechten; und mit einer säkularen, auf der Trennung von Religion und Politik basierenden Demokratie. Also mit Dingen, die Nehammer und Co. zum Teil zu weit gehen. Europa? Österreich! Und so weiter und so fort. Sie wollen die rot-weiß-rote Fahne schwingen, volkstümmeln und – unter Anleitung von Johanna Mikl-Leitner bzw. Herbert Kickl – für Nikolaus und Christkind kämpfen.

Gerade weil sie es so anlegen, sollte man es im Hinblick auf das Potenzial bei künftigen Wahlen nicht unterschätzen. Es könnte reichen, sich bei – sagen wir – rund 25 Prozent zu halten. Das Antieuropäische, das Nationale und die Rückwärtsgewandtheit erfahren wachsenden Zuspruch. Dafür, sich einen solchen zu holen, können ein paar Codes mehr als genug sein. Und zwar auch auf Kosten von Herbert Kickl (FPÖ), der das mit Erfolg betreibt, in Wirklichkeit aber von einer Masse abgelehnt wird.

Zweitens: Die ÖVP ist noch immer bemerkenswert geschlossen. Unbehagen, ja Unmut sind nach außen hin nicht wahrnehmbar. Bürgerliche Kreise bzw. klassische Schwarze spielen keine große Rolle mehr. Wie auch? Ihre Hoffnungsträger, wie der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler, haben selbst zu kämpfen, sind weit davon entfernt, zu zeigen, wie man in der Mitte punkten könnte.

Drittens: Das aufgeklärte Österreich ist überschaubar. Wäre es das nicht, könnte es sich die Volkspartei kaum leisten, „Leitkultur“-Beiträge auf besagtem Niveau auch nur zu liefern. Sie würde sich Richtung Einstelligkeit bewegen. Das tut sie jedoch nicht. Zusammen mit der FPÖ, die ähnlich tickt, hält sie noch immer gut 50 Prozent. Sprich: Ein anderes Österreich ist eher in der Minderheit und abgesehen davon weit davon entfernt, politisch eine Einheit zu bilden (es besteht derzeit aus SPÖ, Grünen, Neos, Bierpartei und KPÖ).

Damit kann die ÖVP schon zufrieden sein. Und darüber hinaus geht es bei der Nationalratswahl nur noch darum für sie, auf Platz zwei zu kommen. Das ist, Stand heute, nicht unerreichbar für sie. Schafft sie es, hat Nehammer beste Chancen, das Kanzleramt zu halten.

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