Österreich braucht neue Volksparteien

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ANALYSE. Wenn ÖVP und SPÖ so weitermachen, wächst gerade in der Coronakrise viel Potenzial für sehr unheilvolle Kräfte.

Das mit der „neuen ÖVP“ war ein schlechter Witz. In den ersten Monaten dieses Jahres ist das immer wieder deutlich geworden. Der Bogen reicht von den bekannten Gründen, die zum Rücktritt von Christine Aschbacher als Arbeitsministern geführt haben, bis zur jüngsten Affäre um den Maskenhersteller „Hygiene Austria“. Von Sebastian Kurz als Paradeunternehmen präsentiert, zu dem es noch dazu persönliche Beziehungen gibt, bleibt immer weniger übrig; gerade hat die Handelskette „Spar“ mitgeteilt, die Ware vorsorglich aus dem Sortiment zu nehmen. All das steht für Blenden und Täuschen im unmittelbaren Einflussbereich und darüber hinaus.

2021 kann sich Österreich das weniger denn je leisten: Vor der Krise hat Sebastian Kurz den Menschen noch erklären können, er werde sparen und entlasten. Niemandem ist aufgefallen, dass Steuersenkungen ausschließlich durch Wirtschaftswachstum und kalte Progression ermöglicht werden. Im System gab es eher nur symbolische Maßnahmen. In der Krise hat Kurz finanzielle Schleusen in der Annahme geöffnet, dass es bereits nach Ostern 2020 eine „Wiederauferstehung“ geben werde, wie er es nannte. Es ist anders gekommen. Bis heute hat das Land schon mehr aufwenden müssen als die meisten anderen EU-Staaten und noch immer keine „Auferstehung“ feiern können.

Schlimmer: Es ist zu einem weiteren Verfall der politischen Kultur gekommen. Kurz hat sich einst davon abgesetzt, indem er sich zum Beispiel dagegen ausgesprochen hat, andere „anzupatzen“. Heute pflegen er und seine Leute das nicht nur gegenüber Mitbewerbern (wie es diese auch umgekehrt tun); sie haben das mit Angriffen auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auch gegenüber staatlichen Institutionen zur Regel gemacht, die abhängig davon sind, respektiert zu werden. In Abwandlung einer Aussage von Andreas Khol (ÖVP) über die Freiheitlichen vor vielen Jahren könnte man feststellen, sie hätten den Verfassungsbogen verlassen.

Der Einwand, die WKStA müsse kritisiert werden können, zählt in diesem Zusammenhang übrigens nicht: Entscheidend ist, wer, wie und aus welchen Gründen das tut. Man kann zum Beispiel nicht ausklammern, dass die ÖVP hier als Regierungspartei am Werk ist, für die diese Staatsanwaltschaft eine ernsthafte Bedrohung darstellt.

Unmut über diese ÖVP kommt auch aus ihren Reihen, aber ausschließlich von „alten Schwarzen“, wie Ex-EU-Kommissar Franz Fischler und dem ehemaligen Klubobmann Heinrich Neisser. Das lässt tief blicken: Entweder sind Bürgerliche bzw. Christdemokraten und Verfassungspatrioten rar geworden; oder sie trauen sich nicht, das Wort zu ergreifen.

Für Österreich ergibt sich aus alledem ein schwerwiegendes Problem: Wenn die ÖVP weiter in so viele Pleiten, Affären und Pannen verstrickt wird wie in den ersten beiden Monaten dieses Jahres, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie erledigt ist. Dann ist „Türkis“ weg – und gar keine Volkspartei mehr da; auch keine nennenswerte schwarze.

Auf der anderen Seite gibt es eine Sozialdemokratie, die in den Umfragen zuletzt zwar etwas zugelegt hat, aber noch immer weit davon entfernt ist, das Vakuum, dass sich mehr und mehr auftut, zu füllen. Pamela Rendi-Wagner und Co. kommen gerade einmal auf ein Viertel der Wählerstimmen. Aufgrund des Zustandes der ÖVP müsste ihnen das zu denken geben.

Grüne und Neos sind keine Volks- im Sinne von Massenparteien, die Freiheitlichen haben sich noch immer nicht zwischen Herbert Kickl und Norbert Hofer entschieden und schaffen es im Übrigen – wie die Sozialdemokraten – nicht, groß zu profitieren von den allgemeinen Umständen.

These: Hier entsteht eine hochexplosive Gemengelage. Entweder gelingt es den Volksparteien, sich zu erneuern oder es kommt eine Bewegung, die als fundamentale Absage an politische Verhältnisse, inhaltsleere Message Control, unerfüllte Heilsversprechen, mutmaßliche Korruption und sogenannte „Freunderlwirtschaft“ extrem erfolgreich wird. Das ist nur eine Frage der Zeit und einer wirkungsvollen Führung. Wobei wirtschaftliche und soziale Aussichten eher nicht erwarten lassen, dass das eine Bewegung wird, die es gut meint mit dem Staatsganze; zu befürchten ist vielmehr Trumpismus.

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