ANALYSE. Die „Krone“ setzt Karl Nehammer mit Michael Ludwig gleich und bei der Bundespräsidenten-Wahl auf Tassilo Wallentin. Das heißt was.
Sollte Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer geglaubt haben, nach der Sache mit der Wien Energie sei er endlich „oben auf“, hat er sich getäuscht. Gut, belastbare Daten liegen noch nicht vor. Es reicht aber, was „Krone“-Chefredakteur Klaus Herrmann schreibt: Nehammer und – ausgerechnet – Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) seien „Brüder im Geiste“. Zitat:
„Sie versuchen der Öffentlichkeit weiszumachen, dass in ihren Bereichen nix geschehen sei. Der eine steht in Wien vor einem Milliarden-Dilemma, weil die städtische Wien-Energie in dramatische Schieflage geraten ist und den Bund um Nothilfe anbetteln musste – aber all das sei keine Aufregung wert, vielmehr eine Inszenierung des politischen Mitbewerbers und der Medien. Und kaum anders argumentiert der ÖVP-Chef, wenn er auf die viele Skandälchen und Skandale in seiner Partei angesprochen wird. Die Taktik: Nix, zugeben, sich höchstens für Fehler anderer, aber nie für eigene zu entschuldigen – weil es ja keine gibt.“
Die „Krone“ muss man nicht lesen und auch nicht mögen. Es ist aber noch immer das einflussreichste Medium neben dem ORF in dieser Republik. Das erkennt man an den vielen Inseraten und an den Bemühungen von Bundeskanzlern und Wiener Bürgermeistern, vorteilhaft darin vorzukommen. Auch in der Umgebung von Nehammer und Ludwig wird da unheimlich viel Energie investiert. In Summe ergibt erst das die Relevanz des Ganzen.
Es hat schon unzählige Versuche gegeben, eine Schlagzeile zu erhalten. Wolfgang Schüssel kam beispielsweise mit der damals überraschenden Ankündigung eines bundeseinheitlichen Tierschutzgesetzes durch. Oder Michael Häupl mit der seinerzeit nicht minder überraschenden Forderung, eine Volksbefragung zur Wehrpflicht abzuhalten.
Umso bemerkenswerter ist es, wenn Nehammer und Ludwig bei dieser Zeitung in Ungnade gefallen sind. Und wenn sie jetzt mit aller Härte angegriffen werden, wie es sich gehört: So absurd der öffentliche Umgang von Ludwig mit der Wien Energie bisher war, so sehr sind es Wortmeldungen von Nehammer zu türkisen Korruptionsaffären und zu Ungereimtheiten in der Parteienfinanzierung, die sich unter seiner Verantwortung als damaliger Generalsekretär 2019 in der ÖVP zugetragen haben könnten. Im ORF-Sommergespräch versuchte Nehammer den Eindruck zu vermitteln, es gehe bloß um ein paar Einzelfälle und – in Bezug auf die Parteienfinanzierung – Kavaliersdelikte, sofern sich überhaupt etwas bestätigen sollte. Konsequenzen würde er persönlich daher keine ziehen.
Das ist ja sein Problem: Er hat die Sebastian Kurz-Nachfolge nicht genützt, um reinen Tisch zu machen und einen Neustart zu versuchen. Im Mai glaubten einige, er werde den Bundesparteitag dazu nützen. Sie wurden enttäuscht. Jetzt erwartet sich die „Krone“ gar nichts mehr von ihm und schreibt ihn – ausgerechnet nach der Sache mit der Wien Energie – gemeinsam mit Michael Ludwig ab.
Man würde es sich zu einfach machen, von einer willkürlichen Kampagne zu sprechen. Es ist eher eine Reaktion auf messbare Stimmungslagen: In Tirol läuft die ÖVP in eine krachende Niederlage, in Niederösterreich aus heutiger Sicht auch. Auf Bundesebene erhält sie fast schon nur noch halb so viel Zuspruch wie bei der Nationalratswahl 2019 (37,5 Prozent).
Das sind keine Aussichten. Zumal es Nehammer in dem gut einstündigen Sommergespräch nicht geschafft hat, in wenigen, kanzlerwürdigen Sätzen irgendeine Linie für kommende Herausforderungen zu skizzieren, die auch nur in Teilen der Gesellschaft aufhorchen lassen würden. Im Gegenteil, er relativierte seine Aussage vom April, wonach ihm der russische Präsident Wladimir Putin im Vier-Augen-Gespräch erklärt habe, die Gasversorgung sei gesichert. Jetzt behauptet er, Putin habe nur gemeint, dass sich Gasprom an die Verträge halten werde. Das klingt für diejenigen, die sich Hoffnungen gemacht hatten, ernüchternd. Nehammer wird immer kleiner.
Wer kommt danach? Es ist nicht zu sagen. Vorerst nimmt man, was kommt und einfach nur anders ist: Bei der Bundespräsidenten-Wahl setzt die „Krone“ nicht auf Amtsinhaber Alexander Van der Bellen, sondern auf Tassilo Wallentin. Behauptet in einem doppelseitigen Porträt, er habe die Privatisierung unseres Wassers verhindert. Das ist nicht nur eine Wahlempfehlung, das ist eine Hymne.