ANALYSE. Ob in Bregenz oder Wien, die ÖVP verzichtet darauf, Konsequenzen aus all den Affären zu ziehen. Regierungsmehrheiten ohne sie sind jedoch ungewiss. Ganz zu schweigen von Bündnissen, die zur Korruptionsbekämpfung schreiten würden.
Im Zentrum des ÖVP-Bundesparteitages am 14. Mai wird Sebastian Kurz stehen. Ja, der zurückgetretene Obmann und Kanzler. Das zu ändern wird schwer bis unmöglich für die Partei: Im Vorfeld dieser Veranstaltung in Graz gilt das medienöffentliche Interesse eher nur der geplanten Teilnahme des 35-Jährigen. Natürlich: Bei der Veranstaltung selbst wird Karl Nehammer die längste Rede halten und sehr wahrscheinlich auch mit großer Mehrheit zum neuen Parteichef gewählt werden. Nehammer liefert jedoch nichts, was ihn aus dem Schatten seines Vorgängers heraustreten lassen würde. Zurückhaltendere Worte und weniger „Message Control“ ergeben noch keinen Neustart.
In der Partei macht sich denn auch mehr und mehr Resignation breit. Die Kanzlerjahre neigen sich dem Ende zu. Es ist etwas fertig, aber noch nicht vorbei. Nehammer ist bloß Abwickler. Wie die SPÖ mit Pamela Rendi-Wagner meint, allein aufgrund eines ÖVP-Absturzes bei der nächsten Wahl auf Platz eins kommen zu können, ja mit jeder Eigeninitiative nur Stimmen für sich selbst zu riskieren und daher darauf verzichten zu müssen, ergeben sich die Schwarz-Türkisen ihrem Schicksal, ohne etwas zu tun.
Das geht so weit, dass sie gewissermaßen die Augen verschließen und alles über sich ergehen lassen, was gerade aufbricht. Ob auf Bundesebene oder im Zusammenhang mit Inseratengeschichten in St. Pölten und viel mehr noch mit der Wirtschaftsbund-Affäre in Bregenz.
Die Phase, in der Vorarlbergs Landeshaupt- und -parteiobmann Markus Wallner zu seiner Verantwortung stand, ist vorbei. Zwischendurch hatte er gesagt, „ein wenig“ zu lange zugeschaut zu haben. Sprich: Er gab erstens zu, Dinge gewusst zu haben; und zweitens, nicht eingegriffen zu haben. Mittlerweile erweckt er jedoch den Eindruck, diese Aussage in einem VN-Interview zu bereuen.
Ob auf Anraten des vergangene Woche in Bregenz weilenden ÖVP-Klubobmannes August Wöginger oder nicht, ist er zu einer zutiefst türkisen Strategie übergegangen: Er tut so, als würde es ausschließlich auf einer verwerflichen Ebene gegen seine Person gehen („Mit mir nicht!“); und als werde ihm vorgeworfen, persönlich die zweifelhaftesten Wirtschaftsbund-Belege unterzeichnet zu haben. Das Ziel ist klar: Die eigenen Reihen sollen sich wieder schließen, Anhänger wie Funktionäre sollen sich – wie einst bei Kurz – jetzt erst recht hinter seine Person stellen.
Für die Grünen erklärte der Abgeordnete Bernhard Weber in einem Sonderlandtag, dass sie sich eine lückenlose und proaktive Aufklärung aller Vorkommnisse sowie einen umfassenden Systemwechsel erwarten würden. Sollte Wallner dies nicht gelingen, müsse er Platz machen für die, „die es wollen und die es können“. Möglich, dass das von einer breiteren Öffentlichkeit geteilt wird. Es geht jedoch ins Leere.
Wallner ist längst zu einem anderen Spiel übergegangen. Er versucht zu vermitteln, dass es bloß um ein paar Kavaliersdelikte wie eine allenfalls übersehene Steuerpflicht gehe, im Wesentlichen aber darum, ihn anzupatzen. Damit ist ein Systemwechsel abgesagt. Auch die Trockenlegung des Sumpfes, die der prominente Ex-Manager Christoph Hinteregger („Doppelmayr“) gefordert hat, kommt nicht. Es wird nur abgeblockt.
Die Grünen werden das wohl wissen. Ihr Dilemma, das sie mit der ÖVP auf Bundesebene längst haben, vervielfältigt sich: Auch in Vorarlberg stehen sie an der Seite eines größeren Regierungspartners, der in Affären verstrickt ist, aber keine ernsthafte Bereitschaft zu Dingen wie Informationsfreiheit oder abschreckend wirkenden Korruptionsstrafbestimmungen zeigt. Da wie dort wrackt sich die Volkspartei selbst ab. Im äußersten Westen liegt sie laut einer VN-Umfrage von Mitte April nur noch bei 36 Prozent. Wallner hatte sie einst bei über 50 Prozent übernommen (Landtagswahl-Ergebnis 2009).
Aus grüner Sicht gibt es da nur Pest oder Cholera: Sie setzen die Zusammenarbeit mit Schwarz-Türkisen trotz allem fort oder sie riskieren auf absehbare Zeit ihre Regierungsbeteiligung. In Vorarlberg würden sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, auf Bundesebene möglicherweise in Opposition landen. Im besten Fall für sie würde sich dort eine Ampelkoalition mit Sozialdemokraten und Neos ausgehen, in einer solchen Konstellation hätten sie aber weniger zu melden als in der gegenwärtigen.
Wichtiger erscheint jedoch, was zu einem Problem überleitet, das bei weitem nicht nur die Grünen betrifft: Gibt es Mehrheiten, die für einen Systemwechsel stehen, die also neben einer transparenteren Parteien- oder besser Politikfinanzierung auch Straftatbestände dazu sowie eine echte Abschaffung des Amtsgeheimnisses wollen? Am ehestem wären Grüne und Neos dafür zu haben, im Übrigen aber fehlen überzeugende Bekenntnisse dazu.
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