ANALYSE. Wäre Peter Hacker ein großer Sozialdemokrat und Anhänger einer liberalen Demokratie, er würde sich mit dem Gesundheitsexperten Pichlbauer solidarisieren: Es geht um eine Expertise, die nicht nur kritisch, sondern auch rar ist.
Die „Sigmund Freud-Privatuniversität“ behauptet in ihren Satzungen, die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre zu achten. Ungeachtet dessen betont sie in einer Aussendung „ihre engagierte und enge Zusammenarbeit mit dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker“ (SPÖ). Gut, das muss kein Widerspruch sein. Es läuft in diesem Fall jedoch in eine kritische Richtung: In dieser Aussendung distanziert sie sich nämlich ausdrücklich von Aussagen ihres bisherigen Lehrenden Ernest Pichlbauer im Ö1-Mittagsjournal vom 7. Juli. Pichlbauer sah darin im Unterschied zu Hacker keinen Ärztemangel. Schlimmer: Laut Ö1-Mittagsjournal vom 11. Juli übermittelte sie Pichlbauer unmittelbar danach ein Kündigungsschreiben.
Natürlich: Die Universität würde gerne dazu beitragen, einen behaupteten Ärztemangel zu beheben. Insofern kann ihr nicht gefallen, was Pichlbauer gesagt hat. Was aber spielt das für eine Rolle? Sie möchte eine Universität sein und hat als solche eben gewisse Freiheiten zu gewährleisten.
Und natürlich: Man kann darüber streiten, ob die Botschaft, dass es keinen Ärztemangel gebe, wissenschaftlich ist. Dem kann man jedoch entgegenhalten, dass sie von einem Mann stammt, der zu den ganz wenigen Gesundheitssystemexperten zählt, über die Österreich verfügt – und der nicht Interessen der Ärztekammer, der Krankenversicherungen oder der Länder vertritt, um die wichtigsten Player des Systems zu nennen.
Wäre Hacker ein großer Sozialdemokrat und Anhänger einer liberalen Demokratie, müsste er sich jetzt mit Pichlbauer solidarisieren und dieser Privatuniversität signalisieren, dass er Widerspruch zwar nicht gerne hört, aber findet, dass er sein muss. Immerhin wird hier ja der Eindruck vermittelt, seinetwegen werde Pichlbauer zurückgewiesen. Das ist das eine.
Das andere: Hier geht es auch um ein demokratiepolitisches Problem: Schon in der Pandemie hat sich gezeigt, dass nur die Wissenschaft recht ist, die sagt, was gefällt; dem Kanzleramt oder wem auch immer. Zweitens: In dem kleinen Land ist es immer wieder schwer, Expertinnen und Experten für bestimmte Fragen zu finden; nicht selten ist die Suche als Journalist vergeblich. Besonders in machtpolitisch aufgeladenen Bereichen wie dem Gesundheitssystem ist daher jede Expertin, jeder Experte schier unverzichtbar.
Im Übrigen kann man wirklich der Überzeugung sein, dass es in Österreich weniger ein Ärztemangel als ein Systemproblem gibt. Zwei Beispiele sind hier angeführt worden: Nicht nur absolut, sondern auch gemessen an der jungen Bevölkerung gibt es immer mehr Medizin-Absolvent:innen. Außerdem: Laut Eurostat gibt es in der EU nur drei Staaten mit mehr Allgemeinmediziner:innen pro 100.000 Einwohner:innen. Hierzulande handelt es sich um 149. In den meisten Staaten sind es deutlich weniger. Und zwar zum Beispiel auch in Finnland, Deutschland, Luxemburg, Dänemark und Schweden, die alles in allem für recht hohe Standards bekannt sind.