ANALYSE. Der Kurz-Strache-Chatverkehr ist nebenbei auch eine Warnung für die Grünen. Es könnte lebensgefährlich werden.
Türkis-Blau war auf zehn Jahre angelegt. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) hatten bei jeder Gelegenheit das Gefühl vermittelt, dass zwischen sie wirklich kein Blatt passt; ja, dass sie Eins sind. „Zusammen. Für unser Österreich“, lautete denn auch der Titel ihres 182 Seiten starken Regierungsprogramms.
Heute weiß man: Es war Show. Natürlich, in Fragen zu Flucht und Migration stimmten Kurz und Strache weitestgehend überein. Oder in ihrer Haltung zu Europa und dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Bei der Aufteilung der Macht wurde es schon haariger. Da musste Strache beispielsweise kämpfen wie verrückt, um für seine Partei auch mehrere Posten bei der Nationalbank zu bekommen. An die Spitze gesetzt wurde bekanntlich ÖVP-Wirtschaftsbund- und -kammerpräsident Harald Mahrer.
Und überhaupt: Inhaltlich stritt man sich erst gar nicht zusammen, sondern machte einfach nur Tauschgeschäfte, wie der nun bekannt gewordene Kurz-Strache-Chatverkehr verdeutlicht: Türkis darf Einsparungen im Pensionsbereich durchsetzen, dafür bekommt Blau Verbesserungen bei den Mindestrenten. Oder: Türkis darf die Körperschaftssteuer senken, dafür darf Blau über eine Reduktion der ORF-Gebühr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen die Wand fahren. Zack, zack, krach.
Das ist bemerkenswert: „Zusammen“ war bei Türkis-Blau gar nichts. Es entsprach eher dem, was zuletzt auch das türkis-grüne Regierungsmotto werden sollte: „Das Beste aus beiden Welten.“ Auch hier gibt es keinen Kompromiss, sondern eher nur ein Tauschgeschäft: Die ÖVP lässt die Grünen Klimaschutz machen, dafür müssen die Grünen in vielen anderen Bereichen ÖVP-Vorstellungen nicht nur erdulden, sondern über parlamentarische Mehrheiten auch ermöglichen.
Das ist ein undankbarer Job, auf den sich die Grünen da eingelassen haben: Der Abgeordnete Michel Reimon hat das bei „Bussi Fussi“ in aller Deutlichkeit ausgeführt. Er und seine Parteikollegen sind eigentlich nur damit beschäftigt, die ÖVP vor Maßnahmen zurückzuhalten, die aus ihrer Sicht noch schlimmer wären.
Übrig bleibt jedoch alte Packelei: Die Grünen dürfen eine Einmalzahlung für Arbeitslose durchsetzen, dafür bekommt die ÖVP eine Pensionserhöhung für Bauern. Genauer: Die ÖVP hätte den Arbeitslosen nicht mehr Geld zugestanden, wenn ihre Landwirte leer ausgegangen wäre. Obwohl das Eine mit dem Anderen nichts zu tun hat; die Maßnahmen stehen ja unter dem Titel Coronakrisenbewältigung. Als alte Machtpartei hat’s die ÖVP aber nichts anders gelernt; 2017 hat sie sich selbst lediglich eine neue Tarnfarbe verpasst, um das zu kaschieren.
Diese „Gestehst Du mir zu, gestehe ich Dir zu“-Regierungsmethode kann für die Grünen noch übel enden: Zum Klimaschutz ist das Regierungsprogramm sehr vage. Sprich: Es müssen erst Maßnahmen „erfunden“ werden – für die dann immer auch Gegenmaßnahmen im Sinne der ÖVP „erfunden“ werden müssen, damit sie zustimmt. Mögliches Beispiel: Abschaffung Dieselprivileg, aber Erhöhung von Agrar- und Frächterförderungen. Und so weiter und so fort.
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