Nehammer nüchtern betrachtet

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ANALYSE. Der „Hamburger“-Sager schadet dem Kanzler zumindest in den eigenen Reihen wohl kaum, er entspricht türkisen Zugängen. Schwer beschädigt hat er sich jedoch gegenüber „seinen“ Sozialpartnern.

Bitte nie um Entschuldigung, bedaure gar nichts: Sollte es eine Anleitung für türkise Politik geben, wie sie von Sebastian Kurz betrieben wurde und nun von Karl Nehammer immer wieder versucht wird, ist das fix enthalten darin. Nehammer hat, wie alle wissen, Eltern mit wenig Geld empfohlen, ihre Kinder zu einer Fastfood-Kette zu schicken, damit sie zu einem warmen, aber billigen Essen kommen; zu einem geschmacklosen Hamburger, der nichts wert ist und daher auch kaum etwas kostet; den man vielleicht gerne isst, aber im Bewusstsein, auf (Tisch-)Kultur zu pfeifen.

Nehammer ist das hinterher nicht einmal unangenehm. Er gibt sich sogar stolz darauf: „Einer, der sagt, was Viele (sic!) denken“, lässt er seine Volkspartei über sich posten.

Hier wird aufgeräumt mit Ansätzen der christlichen Soziallehre. „Die Gerechtigkeit einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht“, heißt es hier in einer Zusammenfassung. Der Lehre würde es entsprechen, Einzelne zu ermächtigen, ein gutes Leben zu führen, aber auch dazu verpflichten, zu liefern und solidarisch zu sein mit denen, die’s nicht können.

Das ist anspruchsvoll. Zu anspruchsvoll für Populismus, der nicht nur schnell, sondern ständig punkten will. Da ist es einfacher, Gefühle zu bedienen: Fast alle sind überzeugt davon, zu leisten oder geleistet zu haben. Eine Masse glaubt, dass Arbeitslose arbeitslos seien, weil sie sich nicht anstrengen (wollen). Dasselbe gelte für Leute mit wenig Geld und viele andere mehr. In Wirklichkeit ist das alles natürlich vielschichtiger, also komplizierter. Aber das muss hier nicht erwähnt werden.

Im Grunde genommen gibt sich Nehammer als Politiker auf, wenn er solche Grundstimmungen bedient. Setzt sich ernsten Fragen aus: Worauf will er es hinauslaufen lassen? Wäre es nicht eher sein Job, konsequent und würde-, jedenfalls aber respektvoll zu sein? Eine Vorstellung zu vertreten, wie es alle möglichst weit bringen können; wie Kinder weniger abhängig werden vom Schicksal ihrer Eltern und sich körperlich und geistig gut entwickeln?

Bemühungen, als Staatsmann zu wirken, der eine breite Mitte der Gesellschaft ansprechen möchte, durchkreuzt der Kanzler so. These: Eine Masse mag vielem beipflichten, was er so sagt, denkt jedoch im vorigen Absatz angeführte Fragen mit. Die Lösungsansätze mögen sich unterscheiden (no na), Ergebnisse wie „starke Gesellschaft“, „soziale Stabilität“ oder „wichtige Beiträge für den Standort“ sind aber fast allen wichtig.

Einzig Vertreter einer türkisen Clique, der Staat und Gemeinwesen egal sind, mögen Nehammer jetzt erst recht auf die Schulter klopfen: „Gut gemacht! Mach Dir nichts draus, dass dieses Video öffentlich geworden ist. Daraus machen wir was.“ Ergebnis? Eben ein Spruch wie „Einer der sagt, das Viele denken.“

Im Unterschied zu Nehammer hätte sich sein Vorbild Kurz aber auch im (einigermaßen) kleinen Kreis, den die männerdominierte Gruppe um ihn herum in einer Salzburger Weinbar gebildet hat, in der seine Rede aufgenommen worden ist, eine Absage an die Sozialpartnerschaft verkniffen. Parteipolitisch gesehen ist es in der ÖVP Selbstmord, ihre Kollektivvertragshoheit oder auch ihre Rolle in AMS-Beiräten infrage zu stellen.

Hier geht es nicht darum, ob das sachlich vernünftig ist, sondern darum, dass die Wirtschaftskämmerer und -bündler erstens ihr Selbstbewusstsein und ihre Macht aus den bestehenden Verhältnissen schöpfen; und dass sie zweitens die Teilorganisation in der ÖVP bilden, die das meiste Geld hat. Das ist ein Hinweis darauf, wer in der Volkspartei Gewicht hat: Laut jüngstem vorliegenden Rechenschaftsbericht nahm die Bundespartei vor drei Jahren 12,9 Millionen Euro ein. Der ÖAAB 4,6 und der Bauernbund 13,5 Millionen Euro, der Wirtschaftsbund jedoch ganze 24,3 Millionen Euro. Fast zweimal mehr als die Bundespartei also.

Fast genauso gut hätte Nehammer auch sagen könne, er lehne den Föderalismus und den ganzen Einfluss der Landeshauptleute ab. Auch hier hätte er außerhalb der ÖVP nicht nur Widerspruch geerntet. Im Gegenteil. Als Parteichef hätte er sich jedoch schwer beschädigt. Und das, nachdem er die ÖVP ohnehin schon nur knapp über 20 Prozent hält und selbst das nicht einmal in Erhebungen zu einer fiktiven Kanzlerwahl erreichen kann.

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