Nehammer nimmt sich zurück

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ANALYSE. Nach einem Jahr als Bundeskanzler und ÖVP-Chef begnügt er sich mit dem Nötigsten. In der Hoffnung, so am ehesten durchzukommen. Ganz unbegründet? Nein.

Es ist nicht so, dass Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer vor gut einem Jahr völlig ambitionslos ans Werk gegangen wäre als Nachfolger von Sebastian Kurz. Innenpolitisch stellte er Transparenz und Sauberkeit in Aussicht, außenpolitisch ließ er zwei, drei Mal aufhorchen. Gleich nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stellte er fest, die Neutralität sei unter einem „Druckszenario“ der „Sowjets“ entstanden. Dann telefonierte er im Bemühen um eine Vermittlerrolle nicht nur mit Wladimir Putin, sondern reiste auch zu einem persönlichen Gespräch mit diesem nach Moskau.

Zustande gekommen oder übrig geblieben ist wenig bis nichts: Ein strengeres Korruptionsstrafrecht lässt noch immer auf sich warten, das Amtsgeheimnis besteht nach wie vor. Regierungsinserate bleiben unbegrenzt möglich. Die Neutralitätsdebatte wiederum beendete Nehammer umgehend selbst wieder und auch auf der internationalen Bühne hat er sich zurückgenommen.

Er konzentriert sich auf das Abfedern multipler Krisen, die sehr viele Menschen in Österreich unmittelbar zu spüren bekommen. Durch steigende Stromkosten beispielsweise. In solchen Fällen sorgt Nehammer im Zusammenspiel mit Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), dass sie weniger zu spüren sind. Brunner verweist gerne darauf, dass es kaum ein anderes europäisches Land gebe, das so große Entlastungspakete schnüre. Ob das allein schon ein Qualitätsausweis ist, bleibt ebenso offen wie die Frage, wie das längerfristig finanziert werden soll. Antworten darauf scheinen belanglos zu sein.

Nur selten bearbeitet Nehammer andere Themen. Asyl und Migration etwa, zu denen er sich unlängst wieder mit dem serbischen Präsidenten Alexander Vučić und dem ungarischen Premier Viktor Orbán traf. Hier geht es um eine bemühte Fortsetzung eines Kurz’schen Weges, der Nehammers ÖVP aber nicht mehr viel bringen dürfte: Laut einer aktuellen ATV-Umfrage schreiben Österreicher hier eher der SPÖ (13 Prozent) Lösungen zu als der Volkspartei (zehn Prozent). Die relativ meisten setzen auf freiheitliche Antworten (34 Prozent).

Was will Karl Nehammer als Kanzler und ÖVP-Chef? Keine nachhaltigen Veränderungen. Vielleicht ist die Antwort, dass er zunehmend einfach nur bestrebt ist, keine Fehler zu machen. Wobei „Fehler“ ein weit gefasster Begriff ist: Er kann bedeuten, parteiintern nicht weiter Vergangenes zu thematisieren, sondern alles ruhen zu lassen, um nicht noch mehr Unruhe zu stiften. Ein Fehler im parteipolitischen Sinne wäre es aber auch gewesen, steigende Strompreise zu ignorieren und nicht mit der Gießkanne zu einer einfachen Lösung zu schreiten.

Akzente? Fehlanzeige. Man sollte jedoch nie vergessen, dass zum Beispiel Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) auch ohne Akzente in Umfragen und bei Wahlen eine Zeit lang durchaus erfolgreich war. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass es einer verbreiteten Sehnsucht entspricht, alles so zu belassen, wie es ist. Ja, vielleicht ist diese Sehnsucht gerade jetzt, in der gar nichts mehr sicher zu sein scheint, noch größer.

Karl Nehammer scheint jedenfalls darauf zu setzen, wenn er seine Ambitionen auf ein Mindestmaß zurückschraubt und sich bemüht, quasi mit Pflastern (wie einer Strompreisbremse) die Menschen vor Schlimmerem zu bewahren. Wozu auch mehr wollen? Auch politische Mitbewerber halten sich zurzeit mit Entwürfen für ein neues Österreich zurück. Von daher steht Nehammer nicht unter dem Druck, der in vielen Belangen sachlich nötig wäre.

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