Nehammer ist Teil des Problems

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ANALYSE. Der Ex-Kanzler hat Schwierigkeiten, mit denen Österreich heute konfrontiert ist, mitzuverantworten – und Kickl mit groß gemacht.

Nicht, dass Ex-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) behauptet hätte, als Regierungschef alles richtig gemacht zu haben. In den Interviews, der er derzeit allen größeren Medien gibt, weil er ein Buch verkaufen möchte, das er geschrieben hat, ist er jedoch nahe dran. Die „Kleine Zeitung“ treibt er damit gleich zu Beginn eines Gesprächs an den Rand der Verzweiflung. Also versucht es der Redakteur noch einmal: „Österreich ist aus den Krisen, von denen alle betroffen waren, trotzdem besonders schlecht herausgekommen. Irgendwas müssen wir falsch gemacht haben.“

Antwort Nehammer: „Wir hatten 2021-22 ein herausragendes Wachstum mit über vier Prozent und einer Defizitquote von unter 3 Prozent des BIP, doch dann kamen die Energiekrise samt Rezession und alle damit einhergehenden Probleme. Es ist also eine Gemengelage mit ganz verschiedenen Ursachen. Ein Land weiterzubringen, Strukturen und den Föderalismus besser zu machen, das sind ständige Aufgaben für die Politik. Das findet jetzt statt und auch wir hatten bereits damit begonnen.“

Wieder nichts. Die Antwort steht für viele, durch die Nehammer den Eindruck vermittelt, dass es nicht unter anderem an ihm gelegen ist, dass die FPÖ von Herbert Kickl bei der Nationalratswahl 2024 abräumen konnte und bis heute vorne liegt; dass er die Budgetmisere nicht mitzuverantworten habe und so weiter und so fort.

Dabei ist es offensichtlich: Nehammer trägt nicht nur, aber auch Verantwortung. Um bei der Budgetmisere anzufangen: Es macht sprachlos, wenn er so tut, als habe sich die Regierung auf Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO verlassen müssen, die sich hinterher als falsch erwiesen haben. Wenn er so tut, als habe man Warnungen von Fiskalratschef Christoph Badelt ignorieren müssen.

Das ist im Grunde genommen ungeheuerlich. Der Fiskalrat hat einen gesetzlichen Auftrag. Das ist kein Bienenzüchterverein. Auszug aus dem Gesetz: „Einschätzung der gegenwärtigen und zukünftigen finanzpolitischen Lage.“ Oder: „Analyse der Nachhaltigkeit und Qualität der Budgetpolitik der öffentlichen Haushalte unter Berücksichtigung der fiskalpolitischen Ziele Österreichs.“ Sprich: Für die Regierung und ihren Chef hat relevant zu sein, was einer wie Badelt sagt.

Bis zur Nationalratswahl vor einem Jahr hat Nehammer jedoch behauptet, dass es keinen Sanierungsbedarf gebe. Hat selber zur Lösung allfälliger Herausforderungen auf „Facebook“ zum Beispiel dies geschrieben: „In der Wirtschaftspolitik ist entscheidend, dass wir den Kuchen größer machen, das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Wir wollen in den nächsten 5 Jahren ein Gesamtwachstum von 10 % erreichen.“ Wie? Gute Frage.

Vielleicht wäre Kickl auch ohne Nehammer groß geworden. Vielleicht ist es Zufall, dass er die FPÖ in Nehammers Amtszeit auf Platz eins geführt hat. Selbstverständlich eine Rolle gespielt haben Versagen und Rücktritt von Sebastian Kurz; das hat tausende Wähler wieder zu Blauen gemacht.

Und es ist nur ein Teil der Geschichte, dass Nehammer letzten Endes lieber zurückgetreten ist, als Kickl eine Chance aufs Kanzleramt zu geben; dass er dabei konsequent geblieben ist: Wesentlich ist schon auch, dass er Kickl in den vergangenen Jahren unfreiwillig geholfen hat.

Es gibt ein paar Themen, bei denen man das nachzeichnen kann: Im Glauben, ebenfalls rechts der Mitte punkten zu müssen, hat Nehammer Vorstöße zu „Normalität“ und „Leitkultur“ gemacht – sie aber nicht weitergeführt, geschweige denn zu einem Abschluss gebracht. Als wäre er bloß Kickls Stichwortgeber.

Wie auch durch die Formel „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ oder den Kampf gegen Klimakleber oder die Forderung, die EU möge sich wieder auf ursprüngliche Geschichten refokussieren: Das hat alles was vom „Schmiedl“, der Wähler, die er erreichen möchte, nicht überzeugen kann, weil sie ja den Schmied haben (Kickl).

Eine Neutralitätsdebatte hat Nehammer unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eröffnet, um sie nach einer Schrecksekunde für beendet zu erklären. Eine fatale Sache: Krickl konnte nicht zuletzt mit dem Neutralitätsthema punkten, weil der Regierungschef, der es vor allem hätte tun müssen, nicht mehr bereit war, darüber zu reden. Was gerade in Zeiten des Krieges unverzeihlich ist.

Es wäre falsch, Nehammer als Beispiel dafür anzuführen, dass eine Brandmacher gegen Rechtsextreme nicht funktionieren könne. Er hat zwar eine Koalition mit Kickl ausgeschlossen und ist auch dabei geblieben. Er hat aber Politik für diesen gemacht.

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