ANALYSE. Im Hinblick auf die Wien-Wahl versucht der sozialdemokratische Bürgermeister, Signale nach links und nach rechts auszusenden. Der Druck muss groß sein.
Kann man Wähler, die für die Freiheitlichen gewinnbar sind, genauso ansprechen wie ganz andere, die für die Grünen zu haben sind? Man kann. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) macht’s vor. Natürlich nicht bei einem Thema. Das wäre zum Scheitern verurteilt. Er bedient sich jeweils mehrerer Themen.
Im März hat sich Ludwig bemüht, FPÖ- und Türkisen-Wähler zu adressieren. Wahrnehmbar hat er dazu den Regierungsplan unterstützt, Familiennachzug für Asylberechtigte zu stoppen. Selbstverständlich war das nicht, entspricht das doch eher einem Mitte-Rechts-Zugang.
Entscheidend für Ludwig scheint jedoch gewesen zu sein, dass sehr viele Menschen der Überzeugung sind, dass es in den vergangenen Jahren zu viel Familiennachzug gegeben hat; gerade in Wien, wo Integration nicht überall, aber in größeren Teilen der Stadt an Grenzen gestoßen ist. Siehe „Favoriten“, den Film über eine Volksschulklasse. Nicht alle erwägen deswegen, blau zu wählen. Es gibt aber Wechselwähler, die es genau deswegen tun könnten.
Nicht übersehen werden sollte dabei, wie Ludwig den Stopp des Familiennachzugs begrüßt hat. Zitat: „Wenn das jetzt zeitlich gestreckt wird, ist das sicher hilfreich in der Integration.“ Das ist so pragmatisch und in gewisser Weise „weich“ formuliert, dass es kaum Angriffsfläche von Links bietet.
Das zweite Signal von Ludwig nach rechts war die Forderung, für Straftäter unter 14 eine verpflichtende geschlossene Wohngemeinschaft einzurichten: „Dass man sie so anhalten kann, dass sie nicht nur in Wohngemeinschaften wohnen und leben, sondern dass es auch Möglichkeiten gibt, stärker auf sie einzuwirken und sie auch anzuhalten.“
Die Strafmündigkeit würde Ludwig nicht senken. Das haben FPÖ und ÖVP vor der Nationalratswahl gefordert. In der Sache läuft es jedoch auf nicht ganz Unähnliches hinaus: Im blau-schwarzen Verhandlungsprotokoll zu den letztlich gescheiterten Koalitionsverhandlungen ist ausdrücklich die Schweizer Regelung als Vorbild erwähnt.
Bei den Eidgenossen beginnt die Strafmündigkeit mit 10 Jahren. Es gilt aber die Losung „Erziehung vor Strafe“. Die Rede ist daher auch eher von „Schutzmaßnahmen“, wie persönlicher oder ambulanter Betreuung; oder der Unterbringung in Erziehungs- und Behandlungseinrichtungen. Freiheitsentzug gibt es selbst bei den Schweizern erst ab 15.
Es wäre nun zu billig, zu unterstellen, dass Ludwig und Freiheitliche oder Türkise hier mit einer Zunge sprechen würden. In der Sache wollen sie wie gesagt nicht ganz Unähnliches. Sie nähern sich ihr jedoch ganz unterschiedlich an und stellen sie auch sehr unterschiedlich dar: Er spricht von einer „Wohngemeinschaft“, sie gezielt von Härte, also schwarzer Pädagogik.
Doch das führt jetzt zu weit: Der Bürgermeister hat den erwähnten Wechselwählern signalisiert, dass ihm Zwölfjährige, die de facto schwer straffällig werden, nicht egal sind, nur weil sie de jure noch nicht strafmündig sind; sondern dass er gewillt ist, auch hier zu handeln. Darauf ist es ihm angekommen.
Linke hat er damit wohl kaum gegen sich aufgebracht. Wobei: Was heißt hier Linke? In der Masse der Wählerinnen und Wähler sind sie genauso überschaubar wie „echte“ Rechte. Es geht hier mehr um Leute, die heute rot, morgen grün und zwischendurch vielleicht pink wählen, weil Neos wie Grünen Korruptionsbekämpfung ein Anliegen ist.
Vor allem auch Stimmen der Grünen braucht Ludwig bei der Wien-Wahl am 27. April: Es geht für ihn darum, zu verhindern, dass Wähler von der SPÖ zu den Grünen abwandern und zu erreichen, dass Wähler, die von Grünen enttäuscht sind, am besten zur SPÖ wandern. Darum bemüht er sich derzeit. Und zwar mit Hilfe seines bisherigen Finanzstadtrats Peter Hanke, der Verkehrsminister geworden ist.
Dieser hatte in der ZIB 2 jüngst das Glück, nicht weiter zu den 3,8 Milliarden Euro Defizit befragt zu werden, die er für heuer noch als Stadtrat für Wien erwartet hat, sondern zu zwei Dingen, die Grünen wehtun müssen. Wehtun, weil er es ihnen schwer gemacht hat, mit ihrem Kampf gegen den Lobautunnel zu punkten: Dieser soll laut Hanke plötzlich nur noch „ergebnisoffen“ geprüft werden. Das klingt nicht nach: „Wir bauen und fertig.“
Zum anderen macht er als Verkehrsminister jetzt den Weg frei für eine verkehrsberuhigte Wiener City irgendwann nach der Wahl. Wahlkampf? Aber Frau Interviewerin, wo denken Sie hin: „Wer mich kennt, weiß, dass ich größer, ein bisschen weiter denke!“ Einziger Haken: Als Grüne im März auf parlamentarischer Ebene eine solche Verkehrsberuhigung wollten, dachten Hankes Fraktionskollegen noch nicht daran. Erst dieser Tage hat er das für sie zu einem Thema gemacht. Es ist Wahlkampf.
Wähler an die FPÖ verlieren wird Ludwig wegen dieser Akzente kaum: Der Lobautunnel ist schon lange in der Warteschleife. Und die Wiener Innenstadt wiederum hat nur wenige Bewohner und noch weniger Wahlberechtigte. Außerdem fährt dort nur ein, wer muss und kann: Eineinhalb Stunden parken kostet in der Garage unterm Hohen Markt 11,80 Euro.